Spätestens beim Begriff tagaktive Nachtfalter ist endgültig für Verwirrung gesorgt und wir begeben uns daher in die tiefen Abgründe der wissenschaftlichen Systematik und suchen dort nach zuverlässigen Antworten zur Lösung unserer Frage.
Ordnung ins Chaos
Tatsächlich versuchen WissenschaftlerInnen schon seit mehr als 250 Jahren Pflanzen, Pilze und Tiere nach verschiedenen gemeinsamen Merkmalen zu ordnen und zu klassifizieren – darunter natürlich auch die Schmetterlinge.
Sie wurden ursprünglich nach ihren, im Gegensatz zu allen anderen Insekten, beschuppten Flügeln zur Ordnung der Lepidoptera (aus dem griechischen stammender Begriff der übersetzt Schuppenflügler bedeutet) zusammengefasst. Dies ist für den SchmetterlingsliebhaberInnen das wichtigste gemeinsame Merkmal. Experten müssen im Gegensatz dazu tief in den Körperbau der Falter hineinschauen, um Schmetterlinge zweifelsfrei zu charakterisieren. Nur so viel dazu: es ist nicht ganz so einfach, wie es scheint…
Die weitere Unterteilung der Falter in Unterordnungen und schließlich in Familien basiert in der Wissenschaft auf Merkmalen des Körperbaues wie z.B. der Mundwerkzeuge, der Geschlechtsorgane oder der Kopplungsmechanismen zwischen Vorder- und Hinterflügeln, aber auch Merkmale der Raupen und Puppen sind zu berücksichtigen. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch die „einfache“ und weitum anerkannte Einteilung der Schmetterlinge in Tagfalter und Nachtfalter, analog zu den englischen Begriffen „butterfly“ und „moth“. Diese praxiserprobte Unterteilung der Schmetterlinge findet sich auch in zahllosen Büchern.
Was flattert im Sonnenschein?
Die Tagfalter sind im Gegensatz zu den Nachtfaltern eine Gruppe eng miteinander verwandter Familien, sozusagen ein Familienclan und die Forschung fasst sie zur Überfamilie Papilionoidea zusammen. Sie unterscheiden sich von den Nachtfaltern vor allem durch die knopfförmig verdickten Fühler-Enden und die in Ruhehaltung nach oben zusammengeklappten Flügel.
Die Hinterflügel reichen deutlich unter die Vorderflügel, um einen synchronen Flügelschlag zu ermöglichen. Der Flug der Tagfalter ist, mit Ausnahme der Dickkopffalter, flatternd. Nachtfalter haben typischerweise einen Schwirrflug mit höherer Schlagfrequenz.
Tagfalter sind aber nicht unbedingt bunter als Nachtfalter – man denke nur an viele braun gefärbte einheimische Augenfalter oder Weißlinge und umgekehrt bunte Nachtfalter wie verschiedene Bärenspinner oder Schwärmer.
Und was hat es mit der Tagesaktivität auf sich? Ja, einheimische Tagfalter fliegen alle am Tag, es sei denn, sie werden in der Nacht unmittelbar gestört. Am nächsten verwandt ist jedoch eine Familie tropischer Schmetterlinge die bezeichnenderweise unter dem englischen Namen „Old World butterfly moths“ bekannt sind (Familie Callidulidae). Sie erinnern in ihrer Ruhehaltung oft an verschiedene Tagfalter wie Bläulinge, nur die Fühler sind nicht knopfförmig verdickt. Diese „butterfly moths“ sind je nach Art tag- oder nachtaktiv und leiten daher auch von ihrem Verhalten zu den Nachtfaltern über.
Spinner, Schwärmer, Spanner & Co
Nachtfalter sind zwar überwiegend in der Nacht munter, doch bei weitem nicht alle. Bekannte Arten wie das Taubenschwänzchen sind ausschließlich tagaktiv, andere können sowohl am Tag als auch in der Nacht angetroffen werden. Manche Arten fliegen zwar bei uns in der Nacht, in Nordeuropa jedoch, mangels dunkler Sommernächte, in den taghellen Nachtstunden. Alles klar, liebe LeserInnen?
Und wie soll man nun als Laie einen Nachtfalter erkennen, ohne sich mit Gehörorganen, Geschlechtsorganen, Flügelkoppelübungsmechanismen oder sonstigen anatomischen Merkmalen intensiver befassen zu müssen?
Am einfachsten sind Nachtfalter in der Ruheposition zu beobachten. Sie falten ihre Flügel fast ohne Ausnahme dachförmig nach hinten über den Körper, oder strecken sie seitlich weg. Nur wenige Arten aus der Familie der Spanner klappen die Flügel tagfalterartig nach oben zusammen. Ein weiteres offensichtliches Merkmal sind die ganz unterschiedlichen Formen von Fühlern, die
- fadenförmig
- kolbenartig verdickt
- bewimpert
- gesägt
- gezähnt
- fiederförmig
sein können, jedoch nie am Ende knopfförmig verdickt wie bei den Tagfaltern.
Die Vielfalt an Fühlern spiegelt die künstliche Ansammlung von unterschiedlichsten Schmetterlingsfamilien wider. Diese willkürliche Unterteilung führt dazu, dass unter dem Begriff der Nachtfalter ganz verschiedene Familien wie Schwärmer und Spinnerartige, Spanner und Eulenfalter und zahlreiche Gruppen von Kleinschmetterlingen, von Urfaltern und Echten Motten bis hin zu Wicklern und Zünslern zusammengefasst werden. Umgelegt auf andere Tiere würde das bedeuten, dass Tagfalter ähnlich wie z.B. die Entenvögel tatsächlich näher miteinander verwandt sind. Alle anderen Vogelarten, egal ob Amsel, Uhu oder Steinadler würden dann aber, in Analogie zu den Nachtfaltern, zu einer künstlichen Gruppe zusammengefasst.
Von den weltweit beschriebenen etwa. 180.000 Schmetterlingsarten gehören etwa 25.000 der zu den Tagfaltern, in Österreich sind es knapp über 200 Arten. Klingt nach viel und ist es auch im europäischen Vergleich. Dem gegenüber stehen jedoch beinahe 3.900 Arten einheimischer Nachtfalter, die somit etwa 95% der Schmetterlingsvielfalt ausmachen.
Die LeserInnen des Naturmagazins von „Blühendes Österreich“ sollen im Laufe des Jahres einen tiefer gehenden Einblick in diese Vielfalt erhalten. Weitere Beiträge werden sich daher verschiedenen auffallenden und wichtigen Gruppen der Tag- und Nachtfalter widmen.