Grün ist das Glück. Und glücklich ist der, dem in Zeiten von Bleib-zu-Hause-Parolen, Lockdown und Homeoffice ein privates Fleckchen Grün vor der Haustür blüht. Und was machen alle anderen zum Seele-Baumeln-Lassen und Hirn-Auslüften?
Sie werden aktiv und drängen zur Frischluftkur hinaus ins Grüne. Draußen in den Wäldern, auf den Wiesen und den Bergen sucht man die Nähe zu Mutter Natur, wenn sonst das Gebot der Stunde „ein Meter Abstand“ lautet. Doch Distanz wahren und Regeln einhalten heißt es auch dort, um das Leben von Tieren, Pflanzen und besonders bedrohten Arten zu schützen.
Weshalb unachtsam weggeworfene Obstreste lange Spuren hinterlassen und warum der aktuelle Ansturm auf die Natur zur echten Belastungsprobe wird - wir haben mit einer Expertin gesprochen.
Seelentröster Natur
Sich erden in Zeiten der Krise. Sich seiner natürlichen Wurzeln besinnen. Und zwar am besten dort draußen, wo es zwitschert und summt. So vergehen die Stunden fernab von gewohnten Rhythmen und Routinen. Und das ist auch gut so, denn natürliche Kraftorte gedeihen hierzulande in großer Vielfalt und strahlen ihre wohltuende Wirkung auf uns Menschen aus. So heißt es in einer Studie der Österreichischen Bundesforste: „Schon der Anblick der Natur oder ein Spaziergang im Wald reichen aus, um Cortisol-Werte und Pulsschlag zu senken.“
„Mit der Natur scheint es ähnlich zu sein wie mit der Musik. Sie kann im Hintergrund mitlaufen, dabei hebt sie die Stimmung, zerstreut lästige Gedanken. Oder man kann zu ihr tanzen. Sich von ihrem Rhythmus leiten lassen – und gleichzeitig ganz bei sich selbst sein.“
- Anke Sparmann im Artikel „Draußen sein“ erschienen im ZEIT Magazin
Tief einatmen für Glückseligkeit
Laut dem Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus besteht Österreich aus 48 Prozent Waldfläche mitsamt den Nationalparks, Biosphärenparks, Naturparks und Naturschutzgebieten. Da muss doch ein kleines Platzerl Glück für jeden übrig sein.
Belastungsprobe für die Natur
„In einem "normalen" Jahr pilgern an einem schönen Frühlings- oder Herbst-Wochenende bis zu 3.000 erholungssuchende Menschen auf die Perchtoldsdorfer Heide. An Spitzentagen können es sogar bis zu 2.000 Besucher sein“ rechnet Irene Drozdowski vor, Obfrau des Vereins Freunde der Perchtoldsdorfer Heide und Gründerin des Landschaftspflegevereins Thermenlinie*. Dazu kommen bis zu 500 Hunde und rund 800 Mountainbike-Fahrten. Und all das auf einer Fläche von nur 30 Hektar.
„Derzeit haben wir hohe Besucherzahlen fast jeden Tag“, berichtet die Biologin und spricht damit die Coronavirus-Ausnahmesituation an. Die Menschen haben ganz einfach mehr Zeit, die Sehnsucht nach Frischluft treibt sie an, und obendrein locken die ersten Frühlingsstrahlen. Dazu kommen Sorgen und Ängste und der Druck des Alltags, den sie einfach hinter sich lassen wollen – nirgendwo gelingt dies besser als in der freien Natur. Doch die Entlastung der Menschen wird mancherorts zur harten Belastungsprobe für die Natur.
*Die Zählungen wurden in einem wissenschaftlichen Projekt mit der Universität für Bodenkultur im Zeitraum März 2013 bis April 2014 durchgeführt.
Natürlich willkommen!
Gerade in Ballungsräumen sind Frischluft und grüne Aussichten manchmal Mangelware und naturbelassene Fleckchen unter Einhaltung offizieller Abstandsempfehlungen oft schwer zu finden. Manche Großstädter steigen daher ins Auto, in der Hoffnung, irgendwo dort draußen allein ihr Glück zu finden. Andere hoffen auf menschenleere Natur abseits der gewohnten Pfade.
Doch zu Gast bei Mutter Natur gelten eigene Regeln, und an vielen Orten sichern diese sogar das Überleben bedrohter Tier- und Pflanzenarten.
Der Funke vor der Katastrophe
Manchmal genügt bereits ein kleiner Funke, um das Leben vieler Tieren und Pflanzen für immer auszulöschen. Dabei ist jeder Quadratmeter von unschätzbarem Wert. Das zeigen auch unsere FLORA-Partner, die mit ihrem Einsatz ökologisch wertvolle Flächen vom Trockenrasen bis zur Streuobstwiese schützen.
Hierzulande werden Waldbrandverordnungen üblicherweise im Juni oder spätestens im Juli verlautbart. 2020 ist alles anders: Bereits seit April gelten diese Verordnungen in vielen Bezirken Österreichs. Denn heuer verlangt der trockene Winter nach außergewöhnlich frühen Maßnahmen, die das Rauchen und Hantieren mit offenem Feuer sowie jegliches Feuerentzünden in Naturgebieten strikt untersagen.
Verwurzelt im Glück
Die Verlockung sich von dem schönen Tag in der Natur einen bunten Strauß voller Erinnerungen zu pflücken oder sogar Pflanzen samt Wurzelwerk auszugraben, ist für einige WaldbesucherInnen groß.
Doch beeindruckende Flora und Fauna – und ganz aktuell die Pracht der schönen Frühlingsblumen – sollten für alle da sein. Darüber hinaus wachsen in der Natur und speziell in den geschützten Gebieten zahlreiche Pflanzen, wie das Frühlings-Adonisröschen, die Große Kuhschelle oder der Echte Seidelbast, die um ihren Fortbestand kämpfen. Sie stehen gemeinsam mit vielen anderen Pflanzen auf der Roten Liste der bedrohten Arten und dürfen daher keinesfalls gepflückt werden.
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In der Ruhe liegt die Kraft
Tierische Frühlingsboten schlüpfen, stolpern zaghaft ins Leben und piepsen kaum hörbar ihr neues Glück in die Welt hinaus. Hasen und Rehe machen ihre ersten Schritte in der Kinderstube Natur. Kiebitz, Wachtelkönig und Heidelerche brüten bereits in Wiese und Weingarten.
Andere – wie der prachtvolle Aurorafalter – feiern im Scheinwerferlicht der Sonne ihren großen Auftritt. Die Wiese, das Erdloch, die Baumhöhle – sie alle bilden wichtige Rückzugsorte für Tiere. Damit sie den Raum und Ruhe haben, den sie für ein ungestörtes Leben brauchen, sollte man zu Gast bei Mutter Natur unnötigen Lärm vermeiden.
Für ein tierisches Miteinander
Hunde jagen, spielen und entdecken, das liegt in ihrer Natur. Selten befolgen sie Hinweistafeln dafür umso lieber ihren Instinkten. Doch leider können viele Wildtiere nicht gut mit dem Spieltrieb der geliebten Vierbeiner umgehen. Gerade für den tierischen Nachwuchs können frei laufende Hunde – vom Junghasen bis zur bodenbrütenden Heidelerche oder der wiesenbrütenden Wachtel – zur schnellen Bedrohung werden. Deswegen gilt: bitte Hunde an die Leine.
Der Weg ist das Ziel
Der Wald, die Wiesen, die Berge und Seen schenken uns Erholung und verwöhnen uns mit natürlichen Glücksmomenten. Wir verlieren uns gern in der Schönheit der Natur, aber bitte auf den gekennzeichneten Wegen. Denn es gibt viele Orte, an denen der Mensch mit gutem Grund Zaungast bleiben sollte. Besonders im Frühling, wenn das junge Leben wieder zu sprießen anfängt und viele Tierbabys das Licht der Welt erblicken, kann ein unachtsamer Schritt so viel mehr kaputt machen. Jungen Pflanzen und geschützten Blumen oder Tieren – vom Helm-Knabenkraut bis zum Europäischen Ziesel – sichern wir auf diese Weise das Überleben.
Sanfte Hügel statt Müllberge
Wenn sie es könnte, würde Mutter Natur uns wohl mahnen: Bitte nehmt doch euren Müll mit. Wie wichtig diese einfache Regel für die Natur ist, geht aus der Verrottungstabelle des Österreichischen Alpenvereins hervor. Ein einfaches Taschentuch braucht bis zu fünf Jahre, bis zur vollständigen Zersetzung. Ein kleiner Kaugummi benötigt drei bis fünf Jahre. Für einen Plastiksack lautet die geschätzte Zersetzungszeit 100 bis 200 Jahre.
Tropisches Obst hinterlässt seine Spuren
Mit der Bananen- oder Orangenschale verhält es sich nicht viel besser. Mit dem Beisatz „das ist doch auch nur Natur“ landen diese Obstreste oft unachtsam auf dem Boden. Für einen raschen Abbau bräuchten die Schalen allerdings tropisches Klima. Ohne äquatoriale Hitze verlangsamt sich dieser Prozess drastisch, und zwar auf bis zu zwei Jahren bei einer Bananenschale und bis zu drei Jahren bei einer Orangenschale.
„In der Krise begibt sich der Mensch in die Wildnis, erlebt sich selbst als Teil eines lebendigen, sich selbst regulierenden Prinzips, kehrt, innerlich gereift, mit neuem Vertrauen darauf, dass die Dinge wieder in Ordnung kommen, in den Alltag zurück. Gibt es ein schöneres Ende für die Geschichte von Mensch und Natur?“, fragt ZEIT-Redakteurin Anke Sparmann.
...wohl kaum, meinen auch wir. Die Natur verwöhnt uns mit Glücksmomenten, lässt uns durchatmen und bietet uns in gerade in schwierigen Zeiten Raum für Zerstreuung. Damit wir mit jedem Schritt durch Wiesen und Wälder zu uns selbst zurückkehren können. Ein perfekter Kreis nimmt seinen Lauf. Wenn wir nur darauf achten.