Die Wolken hängen tief, es regnet. Vom Bodensee weht ein kühler Wind in die Lagune. Kein Grund für Jürgen Ulmer, der als Biologe die Exkursion für BirdLife Vorarlberg leitet, Trübsal zu blasen:
„Das Regenwetter ist für die Beobachtung gar nicht so schlecht, da die Vögel dann am Boden bleiben und abwarten.“
Seit drei Jahrzehnten befasst sich Jürgen Ulmer bereits mit Vögeln, erkennt sie am Gesang, am Flugbild, weiß, wo er sein – zum Glück wasserfestes – Spektiv hinstellen muss.
„Das Rheindelta ist neben dem Neusiedlersee eines der bedeutendsten Vogelgebiete in Österreich und in Europa.“
Jürgen Ulmer weist gleich zu Beginn unserer Exkursion auf die Vielfalt an Feuchtgebieten, von Flachwasserbereichen mit Schlickflächen, stehenden Gewässern, Schilfgürteln, Feuchtwiesen, Auwäldern bis hin zum offenen See hin. 345 Vogelarten wurden hier nachgewiesen! Einige davon sind Brutvögel – nämlich rund 90 Arten (!) - andere ziehen auf ihrer langen Reise vom hohen Norden in den Süden durch und machen im Delta Rast.
Der Herbst ist für Vogelliebhaber, egal ob Hobby- oder professionelle OrnithologInnnen, besonders spannend. Zu 10.000enden finden sich Zugvögel ein, rasten, fressen und ziehen in geordneten Schwärmen über den Himmel. So ein Schauspiel der Sonderklasse konnten auch wir beobachten: In einer Regenpause brachen von den Bäumen des Auwaldes gut 500 Kormorane auf, um auf den offenen See hinaus zu fliegen.
Was es mit dem Vogelzug auf sich hat
Unter „Vogelzug“ versteht man den alljährlich zweimal stattfindenden Flug von Zugvögeln von ihren Winterquartieren zu ihren Brutplätzen und wieder retour.
Generell unterscheidet man
- Kurzstreckenzieher: Von Mitteleuropa nach Südeuropa oder Nordafrika
- Mittelstreckenzieher: Von Europa nach Zentralafrika
- Langstreckenzieher: Von Europa nach Südafrika
Die Beobachtung der Zugvögel bringt viele ganz erstaunliche Leistungen der Tiere zutage. Lange wusste man nicht genau, wie sich die Vögel orientieren. Heute weiß man, dass sie die Sonne, die Sterne, das Magnetfeld der Erde und Landmarken, wie etwa Flüsse oder auch Autobahnen nutzen, um ihren Weg zu finden.
Geflogen wird meistens in der Nacht, am Tag rasten die Tiere an Wasserstellen und in feuchten Wiesen, wo sie Nahrung finden.
Wer wie weit fliegt und wann welche Art startet, hängt vor allem vom Futterangebot ab, das sich durch den Klimawandel ebenso verändert wie die Temperaturen. Auch im Rheindelta kann man beobachten, dass manche Arten später kommen – wie etwa die Enten, die wir Anfang September noch nicht sehen konnten.
Das große Treffen im Rheindelta
Im Rheindelta spielt es sich im Herbst jedenfalls ganz schön ab. Es ist ein Kommen und Gehen, ein Fressen, ein Rasten, ein Formatieren. Im Herbst finden sich mehrere Tausend Enten (vor allem Reiher-, Tafel- und Kolbenenten) sowie mehr als Hundert überwinternde Singschwäne, vereinzelt auch Zwergschwäne, ein. Samt- und Bergenten erreichen im Rheindelta die höchsten Zahlen. Eine Besonderheit stellen auch die vielen Hundert tagsüber auf Wiesen grasenden Pfeifenten dar.
Gerade in den Durchzugsmonaten kann man beinahe alle in Mitteleuropa auftretenden Limikolenarten auf kurze Distanz beobachten. Bei der Exkursion haben wir folgende gesehen:
- Waldwasserläufer
- Grünschenkel
- Sichelstrandläufer
- Sandregenpfeifer
- Flußuferläufer
Auch Eisvögel, Seidenreiher und viele Singvogelarten, unter ihnen:
- Rohrammer
- Schwanzmeise
- Trauerschnäpper
- Klappergrasmücke
- Zilpzalp
- Fitis
konnten neben jagenden Baumfalken an diesem Tag beobachtet werden.
„Die Grauammer und auch die Feldlerche sind aber selbst in Vorarlberg aufgrund der fehlenden Habitate fast ganz verschwunden.“
Besondere Bedeutung hat das Gebiet aber auch als Mauserplatz für mehrere Hundert bis über Tausend Große Brachvögel und als Schwingenmauserplatz für Zwei- bis Dreihundert Gänsesäger.
Einige der Vögel haben den Sommer am Bodensee verbracht, hier gebrütet und ihre Jungen aufgezogen. Viele von ihnen machen sich nun im Herbst auf, um weiter in den Süden zu ziehen.
Besonders angetan ist Jürgen Ulmer vom 20 g leichten Braunkehlchen:
„Das Braunkehlchen ist gerade einmal so schwer wie ein Kinderlutscher und zieht in das Winterquartier in den Savannen südlich der Sahara!“
Haubentaucher haben hier mit rund 300 Brutpaaren überhaupt das größte Brutgebiet in ganz Österreich und dass die Flussseeschwalbe wieder Fuß fassen konnte, ist einem Naturschutz-Projekt mit künstlichen Brutinseln zu verdanken.
Im Sanddelta (Lagune) brüten zudem folgende Arten:
- Lach- und Schwarzkopfmöwen
- Drosselrohrsänger
- Teichrohrsänger
- Zwergdommeln
Natürlicher Trittstein von großer Bedeutung
Wo Natur sich frei entfalten darf, wo Wasser umgestalten und verändern kann, wo sich Auwälder, Schilf und Schlickflächen mit Kies und trockenen Böschungen abwechseln, finden eine Vielzahl an verschiedenen Tier- und Pflanzenarten Platz. Ihr harmonisches Zusammenspiel zeigt sich zum Teil in äußert ausgeklügelten Anpassungsstrategien, in optimaler Nischennutzung und dem zeitlichen Wechsel von Arten an ein und demselben Standort. Gebiete wie das Rheindelta haben angesichts des dicht besiedelten und intensiv landwirtschaftlich und industriell genutzten Landes ringsum einen besonders hohen Stellenwert für die Natur.
Zum Glück ist es gelungen, das Rheindelta bereits 1942 als Naturschutzgebiet auszuweisen und 2003 als Natura 2000-Gebiet in das europäische Schutzgebietsnetzwerk einzugliedern. Für Jürgen Ulmer gilt es vor allem, Lebensräume zu erhalten, um den Artenreichtum zu sichern:
„Oberste Naturschutzaufgabe ist es, das Rheindelta mit seinen wertvollen, vielfältigen und artenreichen Flächen zu erhalten, Bruterfolge zu ermöglichen und Zugvögeln einen essentiell wichtigen Trittstein auf ihrer langen Reise bieten zu können.“
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