Nicht nur Laien, sondern wohl auch die Mehrzahl von Biologiestudenten und Biologiestudentinnen würden mit einem klaren Nein antworten. Wird doch gerade mit dieser Insektenordnung gedanklich Flatterhaftigkeit verknüpft. Wie so oft in der Natur gibt es aber Ausnahmen von der Regel, und diese sind gar nicht so selten.
Unbeflügelt? Familie Sackträger ist konsequent
Wissenschaftler schätzen, dass etwa 1 % der weltweit ca. 180.000 beschriebenen Schmetterlingsarten flugunfähig sind. Wobei, ganz korrekt nicht unbedingt die Arten, sondern fast ausnahmslos das weibliche Geschlecht nicht mehr fliegen kann.
Nur im Extremfall sind beide Geschlechter flugunfähig, ein Phänomen das vor allem von subarktischen Inseln bekannt wurde, nicht jedoch in Europa. Das Ausmaß der Flügelreduktion kann wiederum je nach Art sehr unterschiedlich sein: von einer leichten Rückbildung, über die Reduktion der Flügel zu kleinen lappenförmigen Anhängen bis hin zum völligen Fehlen beider Flügelpaare.
Tendenziell sind die Hinterflügel stärker von Rückbildungstendenzen betroffen, es gibt aber auch Arten mit reduzierten Vorderflügeln. Eine Reduktion der Flügel findet sich in ganz unterschiedlichen Schmetterlingsfamilien. In der Familie der Sackträger wird sie jedoch zum fast durchgängigen Prinzip.
Kältetolerante Falter?
Die Ursachen für Flügelrückbildungen sind zwar wenig erforscht, allerdings scheinen vor allem klimatische Faktoren eine wichtige Rolle zu spielen. Besonders ausgeprägt ist die Flugunfähigkeit bei Kaltsaisonarten. Das sind Schmetterlinge, die im Spätherbst etwa von Oktober bis Dezember und im Spätwinter von Jänner bis März/April aktiv sind.
Aufmerksame Schmetterlingsapp-User von Blühendes Österreich haben sicher jetzt im Herbst hin und wieder ein Männchen des
- Kleinen und Großen Frostspanners
- Buchen-Frostspanners
- Herbst-Kreuzflüglers
- Orangegelben Breitflügelspanners
beobachtet. Die nachtaktiven Falter sitzen tagsüber gerne an Baumstämmen und können auch z.B. an beleuchteten Hauswänden gefunden werden. Wer aber die flugunfähigen Weibchen zu Gesicht bekommen will, sollte in den ersten Nachstunden mit einer Stirnlampe „bewaffnet“ Laubgehölze ableuchten. Hier finden sich manchmal von weitem sichtbar die paarenden Tiere auf Zweigen und an Baumstämmen.
Dasselbe Verhalten gilt im Frühjahr für die nach der Schneeschmelze fliegenden Arten wie
- Schneespanner
- Gelbfühler-Dickleibspanner
- Graugelber Breitflügelspanner
- Frühlings-Kreuzflügler.
Auch sie sind nachtaktiv und fliegen bereits bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Zwei in der EU streng geschützte und im November aktive Spannerarten (Chondrosoma fiduciaria, Lignyoptera fumidaria), die in Österreich nur im äußersten Osten vorkommen, sind hingegen tagsüber im Sonnenschein zu finden.
Die häufige Flügelreduktion gerade bei Kaltsaisonarten wird als Anpassung an jederzeit drohende Kaltlufteinbrüche interpretiert. Die Weibchen müssen möglichst rasch kopulieren und ihren Eivorrat ablegen. Die Eier sind schon beim Schlupf aus der Puppe reif und die Eierstöcke breiten sich auf Kosten der Muskulatur bis in den Brustbereich aus. Außerdem wird über die großen Flügel ein Wärmeverlust vermieden. Ähnliches könnte auch für eine zweite Gruppe von Faltern mit reduzierten Flügeln gelten: Hochgebirgsschmetterlinge, zumindest für manche Arten wie den Alpenspanner.
Vom Winde verweht? Nur die Männchen!
Wer oberhalb der Waldgrenze das Glück hat, kurzflügelige Schmetterlinge zu entdecken, der wird seinen Augen nicht trauen. Die Weibchen mancher Arten hüpfen wie kleine Heuschrecken mehrere Zentimeter weit, sind aber durch die weit fortgeschrittene Reduktion ihrer Flügel flugunfähig.
Andere Arten wie beispielsweise Palpenfalter aus der Gattung Sattleria haben dank des großen Eivorrates ein so schweres Körpergewicht zu tragen, dass sie sich nur noch laufend fortbewegen können.
Je höher man in den Alpen steigt, desto weiter verbreitet ist dieses Phänomen. Die Ursachen für die Flugunfähigkeit werden jedoch unterschiedlich interpretiert.
Neben energetischen Vorteilen dürfte vor allem der starke Wind im Hochgebirge der Hauptmotor für die evolutive Anpassung sein. Schmetterlinge, die nicht fliegen können, werden auch nicht auf Schneefelder oder in ungeeignete Biotope verdriftet! So tragen die geflügelten Männchen zwar das höhere individuelle Risiko – die Weibchen erhöhen aber umgekehrt ihre Chancen, erfolgreich den Eiervorrat ablegen zu können und somit den Fortbestand der Art zu sichern.
Auch in anderen windgeprägten Lebensräumen wie den pannonischen Steppenrasen oder in Küstengebieten ist bei einigen Arten eine ähnlich Tendenz zur Flugunfähigkeit zu beobachten.
Ausnahmen von der Regel
Die Flügelreduktion einer ganzen Reihe von Schmetterlingsarten kann aber nicht durch ungünstige klimatische Rahmenbedingungen erklärt werden. Sie sind nicht in den Jahresrandzeiten und auch nicht primär im Hochgebirge oder an sonstigen sturmgeprägten Stellen unterwegs. Die Ursachen der Flügelrückbildung bei diesen Arten sind ganz einfach unbekannt!
So ist beispielsweise das Weibchen des im Sommer aktiven Schlehen-Bürstenspinners weitgehend flügellos. Besonders markant ist die Rückbildung in der Familie der Sackträger, die alle als Raupe in namengebenden Säcken leben. Die große Mehrheit der Arten – alleine in Österreich beachtliche 69 - ist im weiblichen Geschlecht vollkommen flügellos!
In vielen Fällen sind auch die Beine völlig rückgebildet, ebenso die Mundwerkzeuge der Falter. Vereinzelt schlüpft das Weibchen nicht einmal mehr aus der Puppe, sondern sprengt diese nur ein wenig, um die Männchen über Sexuallockstoffe anlocken zu können. Und in Extremfällen greift hier gleich eine bei Schmetterlingen ausgesprochen seltene Art der Vermehrung – die Jungfernzeugung oder Parthenogenese. Das bedeutet: eine männchenlose Gesellschaft!
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