Denn unter den schönsten Raupen Österreichs ist die Seinige ganz klar meine persönliche „Miss Austria“.
Und auch wenn ihre Schönheit toxisch ist, brauchen wir uns nicht vor ihr zu fürchten.
Natürliche Schönheit als Warnung
Menschen fühlen sich von bunten Farben und außergewöhnlicher Schönheit in der Regel angezogen. Draußen in der Wildnis sollte uns besondere Farbenpracht jedoch eher abschrecken. Denn fast jedes Lebewesen wird von Feinden verfolgt und verspeist. Wer klein ist und sich trotzdem mit knalligen Farben unübersehbar macht, sollte uns deshalb einen gewissen Respekt einflößen.
In der Natur hat fast alles seinen guten Grund. So enthält ein besonders schillerndes oder kontrastreiches Farbenkleid zumeist einen klaren Warnhinweis. Insbesondere Kombinationen aus Rot-Schwarz oder Gelb-Schwarz verkünden die Botschaft: „Achtung, ich bin giftig!“ „Vorsicht, ich bin wehrhaft!“ Vielleicht sogar beides zugleich.
Man denke nur an die knallbunten und ebenso tödlichen Pfeilgiftfrösche Amazoniens, an Rotfeuer- und Skorpionsfische oder so manche auffällig gestreifte Seeschlange. Aber auch heimische Arten wie der Feuersalamander, der hochgiftige, blau schillernde Maiwurm, der putzige Marienkäfer, der Fliegenpilz oder unsere vielen Wespen- und Hornissenarten setzen auf deutliche Warnsignale.
In der Biologie spricht man vom sogenannten „Aposematismus“, wenn Lebewesen weithin sichtbar vor ihrer Gefährlichkeit warnen. Freilich tun sie dies nicht aus purer Freundlichkeit, sondern weil ihnen die Warnfarben unliebsame Angriffe von Anfang an ersparen sollen. Potentielle Angreifer halten sich nach schlechten Erfahrungen mit solchen Arten fern. Anderen ist die Scheu vor allzu buntem Getier angeblich sogar angeboren.
Wieder andere Tiere profitieren von diesem Schutzeffekt, indem sie gänzlich ungerechtfertigt die Warnfarben gefährlicher Tiere nachahmen oder sich optisch mit vermeintlichen Waffenarsenalen schmücken. Wenn eigentlich wehrlose Tiere diesen Effekt nutzen, spricht man auch von „Mimikry“.
Die Raupe des Wolfsmilchschwärmers setzt gleich auf beides und vereint somit Mimikry und Aposematismus auf gekonnte Weise.
Wolfsmilchschwärmer: echtes Gift und falsche Waffe
Denn die bunten Warnfarben sind kein Scherz, sondern weisen auf ihre Ungenießbarkeit hin. Die Raupen enthalten die Giftmischung Euphorbon und wie viele andere giftige Tiere beziehen sie ihre Ungenießbarkeit aus ihrer Nahrung. Wie der Name des Falters es schon verrät, verspeisen die Raupen des Wolfsmilchschwärmers eine breite Auswahl an Wolfsmilchgewächsen (Euphorbiaceae). Dabei steckt die spezielle Giftmischung schon im wissenschaftlichen Namen dieser Pflanzenfamilie.
In Österreich bevorzugt der Falter vor allem die Zypressenwolfsmilch für die Ablage seiner Eier. Die Raupe verschmäht aber auch Palisaden-, Strand-, Esels-, Garten- und Walzenwolfsmilch nicht. Man erkennt Wolfsmilchgewächse an der weißen, milchähnlichen Flüssigkeit, welche sie beim Abschneiden von Pflanzenteilen absondern. Der Pflanzensaft kann je nach Art leicht oder auch richtig stark ätzend sein.
Also Vorsicht beim Pflücken solcher Pflanzen. Besonders gefährlich sind Spritzer in die Augen. Schwere Augenentzündungen, ja sogar Fälle von Erblindung, sind von manchen Arten bekannt. Weidetiere meiden die Wolfsmilchgewächse in der Regel, weil sie auch unangenehm scharf schmecken. Wenn sie sich allerdings ins getrocknete Heu gemischt haben, werden sie mitgefressen und können dann auch bei Schafen und Kühen Vergiftungen auslösen, von Durchfall bis hin zu Lähmungserscheinungen.
Die Raupen wollen sich mit ihrem Farbenkleid aber vor allem vor Vögeln schützen, für welche die verschiedenen Terpene in der Giftmischung Euphorbon ebenfalls giftig sind.
Die fantastischen Warnfarben scheinen den giftigen Raupen aber nicht genug zu sein. Ein bisschen Mimikry ist schließlich auch ganz fein. Als Blickfang im Sonnenschein unterwegs zu sein, könnte manchmal doch gefährlich sein. So empfiehlt es sich, wenn auch zum Schein, zusätzlich ein wenig bewaffnet zu sein.
Wie man sieht, versetzt mich diese Raupe wie von selbst in Dichterlaune. Wer sie schon selbst gesehen hat, wird mir hoffentlich verzeihen!
Jedenfalls trägt sie zur Abschreckung zusätzlich ein leuchtend rotes Horn am Körperende. Auch wenn dieses einen gefährlichen Stachel imitiert: Sobald man es berührt, erweist es sich als harmlose Attrappe.
So sind diese wunderschönen Raupen wie auch ihre Nahrungspflanzen für uns völlig harmlos, solange wir sie eben nicht verzehren wollen. Und davon gehe ich aus.
Giftiges Grün im Garten – Warum nicht?
Wir pflanzen Ligusterhecken und schmücken unsere Gärten mit Oleander und Wandelröschen. Alles ziemlich giftig und trotzdem schön. Und so möchte ich allen Gartenbesitzer*innen, die keine kleinen Kinder haben, auch die Förderung der zarten Zypressenwolfsmilch ans Herz legen. Insbesondere an Hängen und entlang von Mäuerchen, auf sandig-trockenen, felsigen und kalkhaltigen Böden gedeiht die leider immer seltenere Pflanze gut.
Die weit umherwandernden Falter freuen sich mit Sicherheit über ein paar Quadratmeter davon und beehren sie vielleicht im Vorüberflug mit ihren Eiern und somit auch mit ihren wunderbaren Raupen.
So wie diese das Horn mit allen Raupen der Familie der Schwärmer teilen, teilen die Falter des Wolfsmilchschwärmers mit der ganzen Familie den Kolibri-ähnlichen Flug. Eine Besonderheit ist jedoch die interessante Abwehrhaltung, welche sie bei Bedrohung einnehmen. Sie spreizen die Flügel auf, sodass die rötlichen Hinterflügel zum Vorschein kommen, krümmen den Hinterleib nach unten und zittern so eine Weile vor sich hin. Den genauen Sinn dieser Pose habe ich noch nicht entschlüsselt.
Besonders schön ist übrigens die deutliche Rosafärbung der Flügelrückseiten. Als Nektarquelle bevorzugen die Falter wie auch andere Schwärmer Seifenkraut, Natternkopf, Nelkengewächse oder Phlox. In Österreich fliegen ein bis zwei Generationen. Die Überwinterung findet im Puppenstadium – zumeist gut eingesponnen zwischen Pflanzenteilen auf oder in sandigem Boden - statt. Die Puppen dieses wärmeliebenden Falters sind frostempfindlich.
Tipp für Modeschöpfer
Aber zurück zu den Raupen, die sich am besten Anfang September entdecken lassen. Wann immer eine von ihnen meine Wanderwege kreuzt, beeindruckt mich ihr nicht nur buntes, sondern wahrhaft edles Design von Neuem. Dabei sind Zeichnung und Färbung sehr variabel, wie man es hoffentlich auch in meiner Fotoserie sehen kann. Auch gelb-schwarze Varianten bilden sich mitunter aus, insbesondere, wenn die Lichtverhältnisse schlechter sind und es an Sonne fehlt.
Schon lange wünsche ich mir ein Kleid im Wolfsmilchschwärmer-Design. Und vielleicht gefiele so ein Textil nicht nur mir. Sollte dies also ein Modeschöpfer lesen, so bitte ich höflichst um die Prüfung meines diesbezüglichen Vorschlags.
Über die Autorin: Marion Jaros arbeitet als Biotechnologin bei der Wiener Umweltanwaltschaft.