„Die Hummeln werden bei uns immer mehr. Ganz im Gegensatz zum eigentlichen Trend“, sagt Christian Hinteregger. Er führt mit seinem Vater Josef Hinteregger den Kirschenhof Hinteregger in Gschmaier bei Ilz in der Steiermark als Familienbetrieb. Auf 28 Hektar umrahmen die Kirschbäume in Reih und Glied den Kirschenhof. Seit über 40 Jahren gedeiht bei den Hintereggers Obst: zuerst Erdbeeren, Erdbeerpflanzen, dann Äpfel und Apfelbäume aus der eigenen Baumschule – seit 2001 schließlich Kirschen.
Insekten wie Hummeln, Bienen und Schmetterlinge zählen, neben dem Wetter und den vielen Helfern während der Erntesaison im Frühsommer, zu den wichtigsten Mitarbeiterinnen am Hof. Blühen die Bäume ab Mitte April, haben die Tiere nur wenige Tage Zeit, um die vielen weißen Blüten zu bestäuben. Die fleißigen Hummeln beginnen ihr Tagwerk schon in der Früh und fliegen bis spät in die Dämmerung hinein. Die Bienen starten am Vormittag, wenn es wärmer wird. Sie sind besonders smart: „Die Solitärbienen wissen instinktiv, wann die Kirschblüte beginnt. Blüht daneben auch ein Apfelfeld, fliegen sie trotzdem zur Kirsche“, sagt Hinteregger. Solitärbienen sind Bienen, die keinen klassischen Bienenstaat bilden. Jede Biene ist dort eine Königin, ohne Gefolge. Am Kirschenhof Hinteregger lebt etwa die Gehörnte Mauerbiene, eine Solitärbienenart, in eigenen Insektenunterschlüpfen mit vielen anderen Insekten direkt auf den Feldern. Die Unterkünfte für die Tiere sind eine Zusatzmaßnahme, zusätzliche zu vorgegebenen Kriterien, die der Hof erfüllen muss, um am PRO PLANET-Programm der REWE Group teilnehmen zu können.
Der Kirschenhof Hinteregger erfüllt die Auflagen für das PRO PLANET-Label seit Programmstart 2013. Der Hof trägt auch seit jeher das AMA-Gütesiegel.
„Die Auflagen waren kein Problem für uns. Die Insektenunterschlüpfe haben wir überhaupt schon seit zehn Jahren“, erzählt Hinteregger. Die Unterschlüpfe sind ein Produkt des Zufalls. Jedem jungen Baum wird am Kirschenhof Hinteregger ein Bambusrohr als Stütze beigestellt. Einmal lagerten überschüssige Rohre unbeachtet im Hof und im Jahr darauf „war alles voller Bienen. Wir dachten schon, da ist ein Stock versteckt. Dabei lebten die Bienen in den Rohren.“
Heute haben die Tiere in großen und kleinen Insektenhotels auf den Hinteregger’schen Feldern ihre Heimat. Zusätzlich holen sich die Hintereggers zur Blütezeit einen Imker zur Unterstützung: "Er stellt uns auf jeden Hektar einen Bienenstock“, sagt Hinteregger. So versucht man die größtmögliche Zahl der Blüten zu bestäuben.
Ist die Arbeit der Insekten erledigt, beginnen sich die Kirschen Anfang Mai zu entwickeln.
Am Kirschenhof Hinteregger wachsen in Berg- und Tallagen rund um den Hof in Gschmaier mehrere Sorten: Firmred, Kordia, Karina, Regina, Lapins, Sweetheart. Frühe bis späte Sorten für ein langes Angebot während der kurzen Saison. „Die Kordia ist meine Lieblingssorte. Wenn die kommt, ist die Welt in Ordnung“, sagt Hinteregger. Jedes Jahr aufs Neue ist es ein Abenteuer, ob aus der Blüte eine Kirsche wird. Jedes Jahr aufs Neue ist das Herz bang – „erst wenn die Ware verkauft ist, kann ich zufrieden sein“, sagt Hinteregger.
Schädlinge wie die Kirschfruchtfliege, Räuber wie die Amsel und vor allem das Wetter beeinflussen die Ernte immens.
„Die Kirsche ist ein Sprinter. Nicht so wie der Apfel, der den ganzen Sommer Zeit hat zu wachsen. Nach der Bestäubung hat die Kirsche nur wenige Wochen, um sich voll zu entwickeln“,
erklärt Hinteregger.
Gerade 2016 hat das Wetter den Früchten stark zugesetzt. „80 Prozent der Ernte hat uns der Frost genommen", sagt Hinteregger.
In einem normalen Jahr liegt der natürliche Ausfall bei den Früchten bei bis zu acht Prozent. Doch diesen Mai brachte der Windfrost mit bis zu Minus vier Grad eine arktische Kältewelle über die Felder, die man in der Gegend Anfang der 60er Jahre zuletzt erlebt hat. In den Tallagen beziffert Hinteregger seinen Ernteausfall auf bis zu 100 Prozent. Statt satte 300 Tonnen, die der Kirschenhof Hinteregger im Vollausbau jährlich an Kirschen erntet, sind es heuer 60. Statt 130 Saisonarbeitern – Pflücker und Sortierer – sind es heuer 45. Statt sieben Wochen Erntezeit, zweieinhalb. Übers Jahr läuft der Betrieb im Familienverbund mit einem fixen Angestellten. Bei Grundkosten von zwei Euro pro Kirschenkilo und einem Ertrag von rund vier Euro bleibt da nicht viel übrig.„Ganz ehrlich: Ich muss hoffen, dass ich heuer überlebe. In der Natur ist man immer nur der Zweite“, sagt Hinteregger. Die Familie lässt deshalb aber nicht den Kopf hängen. Plan B? „Den gibt es immer!“ Im Fall des Kirschenhofs werden wohl Nüsse oder Kastanien zum zweiten Standbein. „Auf zwei Beinen steht man besser als auf einem. Mit Nuss und Kastanie hat man auch etwas im Herbst. Ausschließlich so etwas Hochrisikoreiches wie die Kirsche möchte ich nicht mehr.“
Neben unstetem Wetter zählt die Kirschfruchtfliege zum größten Feind der Kirsche.
Sie setzt ihre Eier während des Reifeprozesses in die noch gelben Früchte. Deshalb hängen auf den Feldern des Kirschenhofs Gelbfallen mit Lockstoffen, die anzeigen, ob die Jungfliegen aktiv sind. Das einzige Mittel dagegen, ist ein von Konsumenten verpöntes: Pflanzenschutzmittel! „Verwurmte Kirschen darf ich nicht in den Supermarkt liefern. Sind Maden in den Kisten, bin ich ausgelistet“, erklärt Christian Hinteregger das Spannungsfeld in dem er agieren muss. Auf seine Felder kommt, bedroht die Fliege die Frucht, Mospilan, ein gängiges Insektizid im Obst- und Gemüseanbau. In einer Menge, die einem Viertel der gesetzlich vorgeschriebenen Menge entspricht. „Wenn ich keine Kirschfruchtfliege habe, spritze ich nicht. Das war schon immer unsere Philosophie. Ich gebe ja nicht freiwillig Geld aus, um Gift aufs Feld zu bringen“, sagt Hinteregger. Kein einziges Mal wurde bislang auf seinen Früchten ein Rückstand von Pflanzenschutzmitteln nachgewiesen.
Vom Baum in den Supermarkt:
Die Erntezeit der Kirsche beschränkt sich auf ein paar Wochen im Jahr. Wie die Kirsche vom Baum in den Supermarkt kommt, zeigt die Produktion am Kirschenhof Hinteregger.
Funktionierende Alternativen zu Pflanzenschutzmittel gibt es für die Kirsche noch nicht. Im PRO PLANET-Programm steht ihre Reduktion ganz oben auf der Agenda.
Die Familie Hinteregger sitzt in den PRO PLANET-Fachbeiräten, die mit allen Programmteilnehmern an der Verbesserung und Weiterentwicklung des Labels arbeitet. „Wir versuchen da immer eine gemeinsame Lösung zu finden“, sagt Hinteregger. Pro Planet ist ihm und seiner Familie ein persönliches Anliegen, auch wenn das Label für Kirschenlieferanten der REWE Group Voraussetzung ist. „Ich bin im Jänner wieder Papa geworden“, sagt der vierzigjährige Vater zweier Kinder, „und meine Kinder sollen eine gute Zukunft haben. Der Klimawandel ist da und wir leben nunmal mit der Natur. PRO PLANET ist etwas, das Sinn macht.“ Bleibt nur zu hoffen, dass die Natur im nächsten Jahr mitspielt und den Frost im Zaum hält. Damit auch die Hummeln und Bienen wieder fleißig fliegen können.