Auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig des Bundesheers im Waldviertel hat sich eine Wolfsfamilie angesiedelt. Das ist eine kleine Sensation. Und im Frühsommer 2017 gab es sogar Nachwuchs: 6 Jungtiere wurden gesichtet. Ein Grund zur Freude! Denn Wölfe sind in Österreich nicht nur selten, sondern auch wichtig für die Biodiversität.
„Über Jahrzehnte gab es vier bis zehn einwandernde Wölfe pro Jahr, die aus verschiedenen Gründen wieder verschwunden sind. Das ist traurig, denn Österreich ist das einzige Land in Mitteleuropa ohne Wölfe. Obwohl die Natur die besten Voraussetzungen bietet“, sagt Kurt Kotrschal, einer der Leiter und Mitbegründer des Wolfforschungszentrums in Ernstbrunn. Seit acht Jahren erforscht das Team des Wolf Science Centers (WSC) die geistige Leistung und sozialen Beziehungen von Wölfen und Hunden und ihre Beziehung zum Menschen. Das erste natürliche Vorkommen der Tiere in Österreich freut Kotrschal, obwohl er skeptisch bleibt: "Aktuell stehen die Tiere unter dem Schutz des Bundesheers, man wird sehen, was passiert, wenn sie das Areal verlassen. Ich hoffe, sie bekommen genügend Aufmerksamkeit, um zu Überleben.“
Wölfe fördern Diversität
Durch die Forschung des WSC weiß Kotrschal um die möglichen Konflikte, die entstehen, trifft Wolf auf Mensch. Übergriffe auf Haustiere, Schäden auf Landwirtschaften – das alles kann passieren. „Ich verstehe da die Almbauern, die nicht einfach ihren Betrieb umstellen können. Deshalb muss man einerseits Wölfe schützen, andererseits den Menschen im Umgang mit ihnen helfen.“
Wölfe sorgen nämlich für Diversität in der Natur. Durch Beobachtungen, etwa im Yellowstone-Nationalpark, weiß man, dass Wölfe die Wildpopulation gesund und Meso-Prädatoren wie Füchse und Dachse in Schach halten. Damit entsteht mehr Lebensraum für Kleintiere, etwa Vögeln. Für die Förderung einer Wolfspopulation spricht aber nicht nur der Erhalt der Biodiversität, es sei auch eine Frage der Ethik: „Wie kommen wir dazu, einer anderen Art die Lebenswelt abzusprechen? Wir wollen, dass man in Afrika Elefanten schützt. Warum können wir nicht mit Bären und Wölfen leben?“
Lange Verbundenheit
Wolf und Mensch verbindet ursprünglich eine Jahrtausende alte Geschichte: „Es gibt Hinweise auf Jagdgemeinschaften von Tier und Mensch gegen Mammuts. Das war vor 35.000 Jahren“, sagt Kotrschal. Zugleich sind sich Wolf und Mensch durchaus ähnlich – im Sozialverhalten oder etwa in der Kindererziehung. Sie unterhalten flache Hierarchien, wie einst Jäger- und Sammlergesellschaften. „Und sie haben sich wohl gegenseitig ab und an gegessen“, sagt Kotrschal. Das Märchen von Rotkäppchen kommt nicht von ungefähr, und ab und an wird wohl auch der Jäger den Wolf geschlachtet haben. Tote durch Wölfe gab es jedoch zuletzt vor rund 200 Jahren.
Wer einem Wolf in freier Wildbahn begegnet, muss sich also keinesfalls fürchten. Ganz im Gegenteil: Man sollte sich freuen, einen Wolf zu sichten. Stehen und ruhig bleiben. „Wölfe haben eine natürliche Scheu vor Menschen. Man braucht keine Angst zu haben. Es kommen mehr Menschen im Straßenverkehr um als durch einen Wolf. Und vor Autos haben wir auch keine Angst", sagt Kotrschal.
Begegnung auf Augenhöhe
Im Wolfforschungszentrum im Wildpark Ernstbrunn kommen Besuchenden Wölfen ganz nah. Dort bilden Menschen, Wölfe und Hunde ein Sozialsystem. Die Mitarbeitenden, die sich der Spitzenforschung verschrieben haben, begegnen den Tieren auf Augenhöhe. „Im Gegensatz zum Hund, kann man auf einen Wolf keinen Druck ausüben. Will er deinen Kühlschrank aufmachen, kannst du ihn nicht davon abhalten.“ Respekt ist das Wort der Stunde. Gleichzeitig ist der Kontakt der Tiere mit Rudelfremden Personen wichtig: "Wir müssen die Wölfe offen halten für fremde Personen, um mit ihnen arbeiten zu können. Und da ist es wie bei den Menschen: Der Fremdenfeindlichkeit wirkt man mit Bildung entgegen. Kontakt mit Fremden schützt gegen Fremdenskepsis.“ Die Begegnungen mit den Tieren im Wildpark Ernstbrunn reichen von Rudelbesuchen über Fotokurse bis zu Spaziergängen mit einem Wolf.
Autorin: Maria Schoiswohl
Hintergrund:
Kurt Kotrschal beschäftigt sich seit 1990 an der Universität mit dem Sozialleben von Tieren. Nach Graugänsen und Kolkraben kam der Wunsch, mit Säugetieren zu arbeiten. Die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlerinnen Friederike Range und Zsófia Virányi hat in der gemeinsamen Gründung des Wolfforschungsinstituts gemündet. Den Anfang machten vier Wolfswelpen aus Herberstein. Mittlerweile arbeitet das Team des WSC seit acht Jahren erfolgreich mit Wölfen. Das Zentrum ist hinsichtlich der Kooperation von Mensch und Tier weltweit einzigartig. Zur Beziehung zwischen Hund und Mensch erscheint am 5. September das Buch „Hund & Mensch. Das Geheimnis unserer Seelenverwandschaft“ von Kurt Kotrschal im Brandstätter Verlag.
Näheres zum Wolfforschungszentrum finden Sie auf www.wolfscience.at.