Sie fressen sich durch borkige Rinde, klopfen auf Holz, lugen aus tiefen Astlöchern hervor oder strecken ihre schwarzen Fäden langsam aber beharrlich durch morsches Holz. Eine Wanderung mit den Österreichischen Bundesforsten durch den Biosphärenpark Wienerwald macht deutlich, wie wichtig Totholz für viele Lebewesen ist: Von schützenswerten und selten auch schädlichen Käfern, neugierigen Spechten bis hin zu Pilzen aller Art - und natürlich der nächsten Generation junger Bäume.
Das nebelig-verwunschene Novemberwetter lässt an diesem Sonntag auf sich warten. Stattdessen blitzt immer wieder die Sonne zwischen schlanken Rotbuchen, tief gefurchten Eichen- und glatten Ahornstämmen hervor, als wir am Rande Wiens im Wald verschwinden. Dabei hätte eine düstere Stimmung so gut zum Thema der Wanderung gepasst: Totes Holz, neues Leben. Drei Stunden werden wir hier in Purkersdorf durch den Biosphärenpark Wienerwald streifen, begleitet von der Forstwirtin Dr. Alexandra Wieshaider. Sie wird uns die Augen öffnen für das, was man sonst oft gar nicht wahrnimmt – oder noch schlimmer, als Unordnung empfindet.
Lang lebe das Totholz!
Hat man aber erst einmal den Blick dafür entwickelt, ist das tote Holz überall zu sehen. Und es ist gut, dass es hier im Biosphärenpark „unordentlich“ sein darf, denn totes Holz ist ein wichtiger Lebensraum für viele Tiere, Pflanzen, Pilze und jeweils deren nächster Generation.
Die ersten Zeichen des Verfalls
Eine erste Alterungserscheinung ist zum Beispiel ein toter Ast. Oder eine Verletzung des Baumes, wie etwa ein Loch in der Rinde. Über diese Öffnung dringen Sauerstoff, Feuchtigkeit und mit ihr Pilze in den Baum ein und beginnen langsam mit seiner Zersetzung. Jetzt fallen mir auch all die liegenden Äste auf. Sie sind von saftigen Moosen und trockenen Flechten bewachsen und von Pilzen aller Arten und Formen bevölkert. Und auch den alten modrigen Baumstumpf, in dem viele verschiedene Käfer und deren Larven ein Zuhause finden, sehe ich jetzt mit anderen Augen.
Borkenkäfern auf der Spur
Nicht alle Käferarten, die Holz besiedeln, sind von Förstern gerne gesehen. Unser erster Halt führt zu einem weichen, weißen Stück Holz, das sich im welken Laub am Waldboden liegend zu sonnen scheint. In der Rinde sind labyrinthartige Spuren zu erkennen. Es sind die Fraßgänge von Larven eines Nutzholzbohrers. „Zuerst müssen wir bestimmen, um welchen Baum es sich handelt“, meint Alexandra Wieshaider jetzt. Mit einem Bestand von rund 60 Prozent im Wienerwald ist die Rotbuche ein guter Tipp. Sie schränkt die Suche nach dem richtigen Käfer weiter ein: „Es muss entweder ein Buchenprachtkäfer, oder ein Buchenutzholzbohrer gewesen sein“ sagt Alexandra Wieshaider und zückt ein Buch zur weiteren Bestimmung der genauen Insektenart.
Die blumige Sprache der Forstwirtschaft
Vor der Führung hat uns die Forstwirtin schon vorgewarnt, dass die forstwirtschaftliche Sprache mitunter etwas archaisch sein kann. Dass der Buchdrucker sogenannte Rammelkammern baut, lässt immerhin wenig Deutungsspielraum. Die Leidtragenden sind meist Fichten, die vom Menschen als Monokulturen in niedrigen Höhenlagen gefördert wurden, in denen sie eigentlich nicht zu Hause und damit - auch verstärkt durch den Klimawandel - gestresst sind. Ist ein Baum befallen, wehrt er sich zunächst durch vermehrte Harzproduktion.
Ein Zuhause für bockige Käfer
Nur ein geringer Anteil der Käfer-Arten sind tatsächlich Schädlinge. Der prächtige, unter Naturschutz stehende Alpenbock zum Beispiel ist auch auf stehendes Rotbuchentotholz angewiesen. „So hat fast jeder Käfer seine bevorzugte Baumart und dort sein Lieblingsabteil“, erklärt Alexandra Wieshaider, „entweder in der Borke, dem Bast oder dem Splintholz. Von den 7.500 bekannten heimischen Käferarten wären jedenfalls 1.400 ohne Totholz nicht lebensfähig.“ Genauso der in Laubmischwäldern heimische Weißrückenspecht, der die Käfer-Larven aus der Rinde pickt. Besonders in Wintern mit viel Schnee, wie er uns vielleicht bald bevorsteht, braucht der Vogel viel stehendes Totholz in seinem Revier.
"Von den 7.500 bekannten heimischen Käferarten wären jedenfalls 1.400 ohne Totholz nicht lebensfähig.“
Ein Pilzchen steht im Walde
Von den Tieren sind heute allerdings nur ihre Spuren in Form von Fraßgängen, Bohrmehl oder Löchern in der Rinde zu entdecken. Dafür aber sehe ich nach einiger Zeit vor lauter Pilzen den Wald nicht mehr: Ob weiß, schwarz, orange, braun oder violett. Diese dritte Gruppe neben Tieren und Pflanzen ist wirklich stark vertreten. Als sogenannte Mykorrhizen leben sie entweder in Symbiose mit den Bäumen oder leisten als Zersetzer im natürlichen Kreislauf ihre Arbeit. Genau genommen deren Myzel, also das Pilzgeflecht. Auf dem toten Ast einer Kiefer, der hier vor uns liegt, ist es sehr gut als schwarzes Geflecht sichtbar. Gleich nebenan ist der strahlend weiße, Kreisförmige Reibeisenpilz damit beschäftigt, den alten Ast einer Kirsche zu zersetzen. Besonders ins Auge fallen die stattlichen Zunderschwämme, ein typischer Weißfäulepilz.
Der Urwald mit all seinem Totholz ruft!
Eine Schneeschuhwanderung im Rauriser Urwald durch verschneite alte Zirben- und Fichtenbestände lässt den Winterzauber so richtig aufleben. Zur Veranstaltung.
Wie tot bist du, Holz?
Wie tot ein Holz genau ist, lässt sich mit einer Probe feststellen. Alles, was man dazu braucht, ist ein Taschenmesser. Man unterscheidet in:
- saftführendes Frischholz
- Totholz: saftlos und fest, das Messer dringt in Faserrichtung nur schwer ein
- Morschholz: weniger fest, das Messer dringt in Faserrichtung leicht ein, nicht aber quer
- Moderholz: weich, das Messer dringt in jede Richtung leicht ein
- Mulmholz: sehr locker oder pulverig; kaum noch zusammenhängend