Wenn Schlangen über sich hinauswachsen, der Rothirsch sein Geweih abstößt und die Libellenlarve ihr letztes Hemd abstreift – die Natur ist voll von Tierspuren. Werden Federn, Zähne, Schuppen, Haut und Knochen erst einmal unter die Lupe genommen und auf die große Kinoleinwand projiziert, haben sie viel zu erzählen.
Hier kommen 7 verräterische Tierspuren, die jedem von uns bei einem Ausflug in den Wald, ans Wasser oder in der Wiese begegnen können – und was sie unter dem Mikroskop so alles über ihre ehemaligen Besitzer verraten. Viel Spass beim Spurenlesen!
Es ist zappenduster im Kinosaal des Museum Niederösterreich. Nur in der hinteren Ecke schimmert ein kleines Licht. Es gehört zum Mikroskop, das gerade angeworfen wurde und jetzt erscheint auch schon ein erstes undefinierbares Gebilde auf der großen Leinwand vor uns. Denn an diesem Sonntagnachmittag heißt es im Mikrolabor: CSI Tierspur. Beim Biologieunterricht für Detailverliebte kommen die Kleinsten ganz groß raus, aber auch die Großen können sich über neue Erkenntnisse freuen.
#1: Ein schlauer Grobian
Es geht tatsächlich gleich ans Spurenlesen. Auch wenn das, was da unter dem Mikroskop auftaucht, eher eine indirekte Spur ist. Der Zapfen einer Schwarzföhre wurde übel zugerichtet: Nur die Spitze ist übrig, der Rest schonungslos abgenagt. Wer das angerichtet hat?
Ein Buntspecht, der dringend an die Samen heranwollte. Um ja nichts zu vergeuden, pickt der schlaue Vogel kleine „Schüsseln“ ins Holz, auf denen er in aller Ruhe die Zapfen bearbeitet. Denn wenn das Nahrungsangebot an Insekten im Winter rar wird und er mit seiner langen Zunge keine fetten Larven mehr unter der Rinde findet, greift er eben auf die Samen zurück. Erster Fall: gelöst.
Erkenntnis #1: Spechte bauen Schüsseln und haben besonders lange Zungen.
#2: Motiv: Mordshunger
Er macht sich erst gar nicht die Mühe, seine Spuren zu verwischen. Auf wild abgenagten Holzstücken lässt er meist sogar richtige Zahnabdrücke zurück. Und auch Baumstämme, deren Rinde rundherum abgenagt wurde, deuten fast immer auf den Biber hin. Er ist nämlich darauf aus, den Baum zu fällen, um damit seine Biberburg zu bauen. Oder aber, um an die feinen Knospen in der Baumkrone heranzukommen. Der Biber hat so gesehen ein großes Mundwerk, klettern kann er aber nicht.
Erkenntnis #2: Biber lieben Bäume, können aber kein bisschen klettern.
#3: Was die Natter zurückließ
Unter dem Mikroskop taucht jetzt ein feines, fast durchsichtig schimmerndes Gebilde auf. Bienenwaben? Nein, es ist die Haut einer Schlange. Fragt sich nur noch, welche Art genau sich hier gehäutet hat. Am Bauch sind die Schuppen jedenfalls länger, am Rücken etwas kleiner. Und dann ist da ein Strich.
Er entlarvt die Äskulapnatter, die hier ihr Natternhemd zurückgelassen hat. Nattern kommen mit einer bestimmten Anzahl an Schuppen zur Welt, die mit dem Tier mitwachsen. Das Natternhemd ist übrigens aus Keratin, so wie auch die menschlichen Haare und Nägel. Auch Fische kommen mit einer bestimmten Anzahl an Schuppen zur Welt. Die Rillen darauf lassen auf ihr Alter schließen, wobei nicht jede Rille für ein Lebensjahr steht.
Erkenntnis #3: Schlangen und Fische kommen mit einer fixen Anzahl an Schuppen zur Welt.
#4: Geflügelte Geheimniskrämer
Feine, ineinander verhakte Linien tauchen auf der Leinwand auf: Eine Feder offenbart unter dem Mikroskop das Geheimnis des Fliegens. Nicht nur, dass die Knochen der Vögel hohl sind. Die einzelnen Teile ihrer Federn sind außerdem ineinander verhakt, damit sie sich beim Flug nicht einzeln bewegen, sondern zusammenhalten – und im Flug den nötigen Auftrieb geben.
Erkenntnis #4: Auch die Feder beweist: Gemeinsam ist man stark.
#5: Zeig her deine Zähne
Raubtier oder Pflanzenfresser? Das Mikroskop zeigt es überdeutlich. Reine Pflanzenfresser wie etwa das Reh haben gleichförmige Mahlzähne mit sogenannten Schmelzfalten. Die größere Oberfläche gibt mehr Reibungsfläche her. Ein räuberischer Fuchs oder ein Wildschwein hingegen haben viele unterschiedliche Zähne im Maul. Die spitzen Reißzähne springen deutlich ins Auge – und packen die Beute.
Wer im Wald Reste eines Tiergebisses findet, sollte die übrigens lieber liegen lassen. Sind die Fleischreste daran noch nicht völlig verwest, tummeln sich darauf unheimlich viele Bakterien.
Erkenntnis #5: Von einem fremden (Tier-)Gebiss sollte man lieber die Finger lassen.
#6: Sturer Bock
Anders ist das bei in der Natur entdeckten Geweihen oder gar Hörnern. Im Frühjahr stoßen Hirsche oder Rehböcke ihr Geweih ab, um Platz für ein neues zu machen, das noch größer oder verzweigter ist. Ein Geweih ist übrigens so etwas wie ein externer Knochen und besteht auch aus demselben Material. Hörner, wie sie Kühe oder Schafe tragen, bestehen aus Keratin. Es ist dasselbe Material, aus dem auch auch unsere Fingernägel und Haare bestehen, nur viel fester. Hörner können außerdem nicht abgeworfen werden und werden sowohl von den männlichen als auch den weiblichen Tieren getragen – im Gegensatz zum Geweih, das nur die Männchen mit sich herumtragen.
Erkenntnis #6: Geweihe sind so etwas wie ein externer Knochen. Hörner bestehen dagegen aus demselben Material wie unsere Haare und Nägel.
#7: Eine letzte räuberische Spur
Zuletzt hinterlässt noch ein besonderer Räuber seine Spur. Libellenlarven lassen am Rand von Gewässern, zum Beispiel am Schilf, oft ihre Exuvien zurück – so wird das Häutungshemd genannt, das die nun erwachsene Libelle hinterlässt, nachdem sie vom Wasser an Land gekrabbelt ist. Daran ist auch die ausklappbare Fangmaske der Libelle zu erkennen. Sie geht damit auf Jagd nach Wasserkäfern oder Köcherfliegenlarven.
Erkenntnis #7: Biologieunterricht kann so spannend sein.
(Autorin: Julia Kropik)
Veranstaltungstipp: Spurenlesen in freier Wildbahn
Ausgestattet mit diesen neuen Erkenntnissen kann es jetzt eigentlich hinaus aus dem Kinosaal und ab in die freie Wildbahn gehen: In unserem Naturkalender findest du viele Workshops und Veranstaltungen zum Thema Spuren- und Fährtenlesen in der Natur.
Zum Beispiel geht es am 2. Jänner mit Schneeschuhen auf Spurensuche im Tiroler Defereggental. Oder am 5. Jänner mit einem Wildbiologen auf Spurensuche im Naturpark Jauerling-Wachau, wobei man lernt, sich wie ein Luchs ans Reh heranzupirschen.