Aktuell fährt sich die Menschheit ungebremst gegen die Wand. Beim aktuellen Insektensterben strecken nämlich nicht nur die Krabbler und Brummer ihre 6 Beinchen in die Höhe, auch das Bestehen des Homo sapiens hängt in Folge an einem seidenen Faden.
Nachdem wir die Umweltministerin Elisabeth Köstinger befragt haben, welche Maßnahmen die Politik gegen das Artensterben der Sechsfüßer plant, lassen wir nun zur Gegenüberstellung den Schmetterlingsforscher und Biologen Peter Huemer zu Wort kommen.
Welche gefährlichen Insekten sogar vom Insektensterben und dem Klimawandel profitieren, welche nötigen Schritte die Politik lieber gestern als heute umsetzen sollte und was man als Einzelne/r gegen das große Sterben tun kann, erfährst du im folgenden Interview:
Das Insektensterben zieht medial immer größere Kreise, bereits von einem Massensterben ist die Rede: Wie geht es den Insekten in Österreich heute?
Österreich ist grundsätzlich ein extrem artenreiches Gebiet mit geschätzten etwa 40.000 (!) verschiedenen Insektenarten. Rote Listen deuten jedoch auf hunderte bereits ausgestorbene Arten, der Mangel an Experten sowie die weitgehende Beschränkung auf optisch attraktive Gruppen wie Libellen, Schmetterlinge oder bestimmte Käfer ist jedoch gleichbedeutend mit ganz erheblichen Kenntnislücken zum Insektensterben. Die Situation in Österreich kann und muss regional differenziert betrachtet werden. Überall wo der Mensch in Konkurrenz zu Insekten auftritt, werden deren Populationen zurückgedrängt, bis hin zum Aussterben. In weniger beeinflussten Gebieten wie z.B. unzugänglichen Schluchten, steilen Gebirgswäldern oder in “unproduktiven” alpinen Lebensräumen ist die Lage hingegen noch viel besser. Die von GLOBAL 2000 und der Stiftung Blühendes Österreich herausgegeben Broschüre “Ausgeflattert III” bringt das exakt auf den Punkt: oben hui, unten pfui!
Welchen Bedrohungen sind Insekten speziell hierzulande ausgesetzt?
Österreich ist - leider - Europameister im Flächenverbrauch. Mit jedem versiegelten Quadratmeter, mit jeder zusätzlichen Düngung, mit jeder Ausbringung von Pestiziden verlieren die Insekten Lebensraum und somit ihre Lebensgrundlage. Es sind bei weitem nicht nur Großprojekte, sondern viele und oft kleine Änderungen mit großen und fatalen Auswirkungen. Eine zusätzliche Düngung, ein früherer Schnitt der Wiese, eine entfernte Hecke, in Summe der Verlust von ungezählten Insekten. Vielfältige weitere Bedrohungen reichen von einer zunehmenden Technisierung wie Verkehr und Beleuchtung bis hin zu Krankheiten, Konkurrenz durch neu eingeschleppte Arten und den befürchteten Auswirkungen der Klimaänderung. Selbst vor allem kleinere Schutzgebiete gelten heute durch Luftstickstoffdüngung und Pestizideintrag, aber auch die Fernwirkungen von Luftschadstoffen wie dem Ozon als gefährdet. Ihre zunehmende Isolation für letztlich vielfach zu einer genetischen Verarmung und zum Aussterben von Arten, unabhängig vom Schutz. Letztlich wird der Rückgang der Insekten nur durch ein gesellschaftliches Umdenken von uns allen, weg vom uneingeschränkten Wachstum und hin zur Nachhaltigkeit gestoppt werden können.
Aktuell fahren wir hier aber noch offenen Auges gegen die Wand, mit allen Risiken für unsere eigene Spezies.
Wie sieht eine Welt aus, in der es kaum Insekten gibt?
Dramatischer Rückgang an Vögeln oder Fledermäusen, Ausfall von essentiellen Bestäubern, weitgehender Nahrungsmangel, gestörter Stoffkreislauf, reduzierte Bodenqualität, Verarmung der Landschaft ohne bunte Schmetterlinge, Totenstille ohne summende Bienen oder zirpende Heuschrecken und Grillen! Insekten spielen in vielfacher Hinsicht eine tragende Rolle für die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme.
Eine Welt ohne Insekten ist letztlich unvorstellbar und würde einem Kollaps gleichkommen, der definitiv auch das Ende des Homo sapiens einläuten täte.
Gibt es Insektenarten, die von den oben genannten Bedrohungen profitieren?
Wo Verlierer, da auch Gewinner. Gerade die Gewinner des Insektensterbens erweisen sich jedoch mittel- bis langfristig für uns Menschen als sehr sehr problematisch. Neu eingeschleppte Insektenarten mit teils enormen Gefahrenpotential, wie beispielsweise der vor kurzem aus Südamerika nach Afrika verschleppte Herbst-Heerwurm (Spodoptera frugiperda), der an Kulturpflanzen enorme Schäden verursacht und das Potential hat, große Hungersnöte zu verursachen. Auch Europa ist hier nicht gefeit, im Gegenteil. Die weit verbreitete Tendenz zu großflächigen Monokulturen bietet für viele Insektenarten paradiesische Bedingungen und verursacht eine Spirale der Bekämpfung bei gleichzeitig zunehmenden Resistenzen die a la long nicht zu gewinnen ist. Beispiele sind schon lange bekannt, darunter die Reblaus mit ihren verheerenden Auswirkungen auf den Weinbau oder der Kartoffelkäfer oder zuletzt in der österreichischen Landwirtschaft als Bedrohung wahrgenommene Zuckerrübenrüsselkäfer. Der äußerst rege Personen- und Warenverkehr innerhalb und zwischen den Kontinenten birgt hier enorme und in den letzten Jahren stark gestiegene Risiken, mit der Einschleppung von weiteren Arten ohne natürliche Feinde, beispielsweise der Kirschessigfliege im Obstanbau. Auch der Klimawandel begünstigt die Ausbreitung von kritischen Insekten, das Spektrum reicht hier von Borkenkäferkalamitäten bis hin zu potentiellen Krankheitsüberträgern wie der Tigermücke.
Wie kann man die Insektenbestände aussagekräftig erfassen?
Auf Grund der enormen Vielfalt ist eine Erfassung nur über bestimmte Indikatorgruppen möglich, die stellvertretend für andere Artengruppen mit ähnlicher Lebensweise stehen. So soll ein von “Blühendes Österreich” und dem Land Tirol co-finanziertes Langzeitbeobachtungsprogramm (Monitoring) der Universität Innsbruck letztlich bundesweite Daten zu den Tagfaltern generieren, unter starker Beteiligung von Laienforschern. Langfristige und finanziell abgesicherte Programme zur Erfassung der Bestände fehlen jedoch bzw. beschränken sich auf wirtschaftlich unmittelbar relevante Arten wie z.B. Borkenkäfer oder verschiedene Insekten der Agrarlandschaft. Erste Ideen eines bundesweiten Beobachtungsnetzes im internationalen Kontext durch den Einsatz von Zeltfallen und der Bestimmung mittels genetischer Methoden sind bislang an der Finanzierung gescheitert. Ein derartiges Messnetzwerk ist analog zu Wetterstationen die Grundlage für die Ermittlung vergleichbarer und aussagekräftiger Daten. Erstmals gibt es jetzt aber auch Ansätze zu einer globalen Erfassung nicht nur der Insekten, sondern aller Mehrzeller https://ibol.org/projects/bioscan/ und somit die Aussicht auf belastbare und unbestreitbare Datengrundlagen.
Was tut die Regierung, um dem Insektensterben entgegenzuwirken?
Selbst das aktuelle Regierungsprogramm übt sich in Absichtserklärungen zum Kampf gegen das Insektensterben. Es ist aber höchst an der Zeit, dieses Programm mit Leben zu erfüllen und nötige Schritte wie insbesondere eine Neuorientierung der Förderpolitik in der Landwirtschaft zu setzen, die aktuell ökologisch verträgliche Bewirtschaftung de facto benachteiligt oder die Bodenversiegelung in Österreich durch entsprechende Gesetze zu reduzieren. Gerade die besonders artenreichen Gebiete mit noch großen Insektenbeständen befinden sich oft in der Kulturlandschaft und sind vordringlichst und ohne wenn und aber zu schützen bzw. ihr Erhalt ist besonders zu fördern. Das geschieht bislang maximal ansatzweise z.B. durch die Ausweisung von Schutzgebieten. Auf Insekten abgestimmte Pflegepläne und Kontrollmechanismen wie Monitoringprogramme wären hier prioritär und in weit größerem Umfang als bisher umzusetzen, denn letztlich sind diese Biodiversitäts-Hotspots mit ihren noch intakten Insektenbeständen die Voraussetzung für spätere flächige Verbesserungen in der Land- und Forstwirtschaft:
Eine Arche Noahs für die Zukunft sozusagen.
Können wir von anderen Ländern hinsichtlich Bestandserhebung und Schutz der Insekten lernen?
Leider (noch) wenig. Insektenschutz wurde bisher weitgehend negiert, Ausnahmen sind z.B. gesetzliche Regelungen zur Eindämmung der Lichtverschmutzung wie in Slowenien oder auch in Frankreich. Aber es gibt auch klare Signale, dass ein Umdenken stattfindet, wie zuletzt im ausgesprochen erfolgreichen Volksbegehren “Rettet die Bienen” in Bayern eindrucksvoll manifestiert.
Bestandserhebungen sind Mangelware bzw. beschränken sich meistens auf wenige Insektengruppen oder viel zu kurze Zeiträume.Ein Leuchtturmprojekt ist hier das Biodiversitätsmonitoring Schweiz, in dem sehr viele unterschiedliche Parameter erfasst werden und das letztlich langfristige Änderungen dokumentieren kann. Österreich ist davon meilenweit entfernt! Auch die genetische Erfassung der Artenbestände in Österreich liegt gegenüber vielen anderen Ländern wie z.B. Deutschland oder den skandinavischen Staaten weit zurück. So wurde zwar die österreichische Initiative ABOL (Austrian Barcode of Life) infrastrukturell durch Bundesmittel unterstützt, Tatsache ist aber, dass die eigentlichen genetischen Erhebungen weitgehend ohne Förderung dastehen und es somit Jahrzehnte benötigt alleine die Artenvielfalt in Österreich zu erfassen.
Was kann jede/r einzelne/r gegen das Insektensterben tun?
Wie oben betont ist jeder intensiv genutzte Quadratmeter gleichbedeutend mit einem Verlust an Insektenvielfalt. Genau hier kann aber auch jede/r Einzelne gezielte Maßnahmen setzen, egal ob Balkon- oder Großgrundbesitzer. Betonplatten sind keine Nahrung für Insekten, der Rasenroboter macht den letzten Tieren den Garaus, Englischer Rasen und Thujenhecken sind Wüsten, Garten-Forsythien für Insekten nutzlos weil ohne Nektar- und Pollenproduktion, und die allgegenwärtige Kunstbeleuchtung in vielen Gärten schadet nicht nur den Insekten, sondern raubt uns allen auch noch den Schlaf. Verzicht auf Spritzmittel, die Förderung der einheimischen Pflanzenvielfalt und etwas weniger Ordnungsliebe werden hingegen ganz rasch durch eine Zunahme der Vielfalt belohnt. Denn solange die Arten nicht ausgestorben sind, besteht die Chance auf Erholung der Bestände.
5 Fakten zum Insektensterben
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Insektensterben ist allgegenwärtig und gilt als ein wichtiger Aspekt einer globalen Biodiversitätskrise.
- Indizien für das Insektensterben sind durch zahlreiche Studien belegt, und zwar weitgehend unabhängig von regionalen Aspekten.
- Die Ursachen des Rückganges bzw. schlimmstenfalls des Verschwindens von früher häufigen Arten sind multifaktoriell, basieren jedoch weitgehend auf anthropogen bedingten Lebensraumverlusten bzw. einer Änderung in der Qualität der Lebensräume durch intensive Nutzung.
- Die Gesetzgebung zum Schutz der Insektenbestände ist völlig unzureichend bzw. behindert im Gegenteil die Forschungen massiv.
- Die Rolle der Insekten als wesentlicher Teil unsere Umwelt sowie des menschlichen Wirtschaftens wird (noch) weitgehend negiert.