1Was ist das Besondere an Wildnis?
Dass die Natur dort machen darf, was sie will. In echter Wildnis laufen die natürlichen Vorgänge ungehindert ab, ohne dass der Mensch eingreift: Flüsse und Bäche dürfen ihr Bett verändern. Bäume werden nicht gefällt, um Holz zu gewinnen. Sondern sie bleiben stehen, bis sie absterben und zusammenbrechen.
Auf solches Totholz sind rd. 4.500 Pflanzen-, Tier- und Pilzarten angewiesen. Das sind fast 60 % aller Arten, die im Wald leben. Jungbäume werden nicht angepflanzt, sondern wachsen auf natürliche Art und Weise nach. Ungeplant und zufällig. Dieser Naturschutz-Ansatz nennt sich „Prozessschutz“.
2Und wenn die Entwicklung in die falsche Richtung geht?
Beim Prozessschutz gibt es kein „falsch“. Anders als beim klassischen Artenschutz schützt man hier nicht gezielt einzelne Pflanzen und Tiere. Sondern lässt Entwicklung einfach zu – was auch immer dabei rauskommen mag. Das gilt auch für Lawinen, Muren, Windwürfe, Waldbrände oder Massenvermehrungen sogenannter „Schädlinge“ (z. B. Borkenkäfer): Sie werden nicht als Katastrophen gesehen, sondern als ganz normaler Teil der natürlichen Entwicklung.
Nicht alle Menschen können sich mit diesem freiwilligen Kontrollverlust anfreunden. Andere dagegen sagen: Genau der macht es spannend.
3Wie viel Wildnis haben wir noch?
Österreich besitzt nur zwei „echte“, ausgewiesene Wildnisgebiete. Sie entsprechen der strengsten Schutzkategorie I der Weltnaturschutzorganisation IUCN:
- Dürrenstein im südwestlichen Niederösterreich (3.500 Hektar, seit 2003)
- Sulzbachtäler im Salzburger Pinzgau (7.000 Hektar, seit 2017, noch nicht international anerkannt)
Im Wildnisgebiet Dürrenstein befindet sich der rd. 400 Hektar große Rothwald, Österreichs einziger Urwaldrest. Das Wildnisgebiet Sulzbachtäler liegt innerhalb des Nationalpark Hohe Tauern. Es war also schon bisher geschützt, bekam nun aber einen noch strengeren Schutz „verpasst“. Die beiden Wildnisgebiete nehmen zusammen 0,12 % der österreichischen Staatsfläche ein.
Ein Video des WWF zum Rothwald findest du hier >>
4Sonst gibt's keine Wildnis mehr in Österreich?
Doch. Denn zusätzlich zu den "echten", ausgewiesenen Wildnisgebieten bestehen noch andere Kategorien von Schutzgebieten, in denen das Nicht-Eingreifen im Vordergrund steht. Sie kommen dem Wildnisgedanken also zumindest nahe:
- Kernzonen der sechs Nationalparks (160.000 ha)
- Kernzonen der vier großen Biosphärenparks (23.000 ha)
- 230 Naturwaldreservate (9.200 ha)
Berücksichtigt man auch diese Wildnisareale im weitesten Sinne, so bedeutet das:
In Österreich darf sich die Natur auf etwa 2 % der Staatsfläche frei entwickeln.
Echte Wildnis ist also rar geworden. Zum Vergleich: Die Idee des Wildnisschutzes stammt aus den USA. Dort nehmen die rd. 760 Wildnisgebiete immerhin 5 % der Staatsfläche ein (44 Mio. Hektar).
5Muss Österreich wilder werden?
Etwas mehr Wildnis dürfte es durchaus noch sein. Denn zahlreiche Pflanzen und Tiere können nur dort überleben, wo der Mensch nicht in die Natur eingreift. Daher fordert der WWF in seinem Wildnisprogramm, dass in Österreich bis 2025 neue, „echte“ Wildnisgebiete eingerichtet werden sollten (nach IUCN-Kategorie I). Und zwar auf mindestens 84.000 Hektar. Dies entspräche einem Prozent der Staatsfläche.
6Wo könnte in Österreich noch Wildnis entstehen?
Eine Studie von WWF und Österreichischen Bundesforsten ortete größere „wilde Zonen“ insbesondere im Hochgebirge. Zum Beispiel in den Ötztaler Alpen, im Karwendel, am Tiroler Lech, im Toten Gebirge und am Hochschwab.
Das Bundesland mit dem größten Wildnispotenzial ist Tirol.
7Lässt sich Wildnis nachträglich "herstellen?"
Bis zu einem gewissen Grad schon. Viele Wälder in Österreichs Nationalparks etwa wurden früher für die Forstwirtschaft genutzt. Heute nicht mehr. Nun dürfen sie wieder wilder werden. Das gilt sogar für Lebensräume, die sehr stark vom Menschen geprägt waren: aufgelassene Truppenübungsplätze etwa oder „Mikro-Wildnisse“ auf Stadtbrachen.
Fest steht: Die Reise zurück zur Wildnis wird lange dauern. Und viele dieser „Wildnisse aus zweiter Hand“ werden möglicherweise nie mehr pure Wildnis werden. Aber einen kleinen Beitrag zu wilderen Zuständen können sie leisten. Immerhin.
8Ist mehr Wildnis das Allheilmittel für die Artenvielfalt?
Nein. Wildnisgebiete im weitesten Sinne machen ja nur rund 2 % Österreichs aus (siehe Punkt 4).
Es braucht daher auch effektiven Naturschutz auf den restlichen 98 %, in der „ganz normalen Landschaft“.
Zum Beispiel durch naturnahe Land- und Forstwirtschaft. Denn manch seltene Wiesenpflanzen und -tiere zum Beispiel können nur überleben, wenn die Wiesen auch regelmäßig und schonend gemäht werden.
---------------------------------------------
Aktiv werden:
Wildniskurs Basic
Termin: 19. – 22. September
Ort: Weißbach bei Lofer, Ferienwiese des Alpenvereins
Beim diesem Kurs der Alpenverein-Akademie lernst du dich in der Natur zu Hause zu fühlen, anstatt gegen sie zu kämpfen. Du schärfst deine Aufmerksamkeit für Natur und Wildnis. Du lernst grundlegende Überlebenstechniken in der Wildnis und entwickelst dadurch deine Verbindung zur Natur weiter. Das kannst du beim Führen und Leiten von Gruppen in der Natur nutzen.
---------------------------------------------