In den Mostviertler Alpen, rund um den fast 2000 Meter hohen Ötscher, erstreckt sich der Naturpark Ötscher-Tormäuer. Mit einer Fläche von 170 Quadratkilometern (also etwa so groß wie Liechtenstein) ist er der größte Naturpark in Niederösterreich. Aufgrund steiler Schluchten wie die Ötschergräben, inklusive Felsformationen, Höhlen und Wasserfällen, wird er von vielen (wenn auch mit leicht ironischem Unterton) als Grand Canyon Österreichs bezeichnet.
Wer aufmerksam durch diese Schluchten wandert, kann abseits davon noch eine weitere Besonderheit entdecken: Ein etwa starengroßer Vogel (rund 18 Zentimeter lang), der am Rand eines Wasserfalles sitzt und wippende Bewegungen macht oder flach über das Wasser fliegt, dann ins Wasser taucht und an anderer Stelle wieder auftaucht.
Die Rede ist von der Wasseramsel (Cinclus cinclus, Familie der Wasseramseln, Cinclidae). Die einzige heimische Singvogelart, die als Wasservogel bezeichnet werden kann und mit der uns bekannten Amsel (Turdus merula, Familie der Drosseln, Turdidae) eigentlich kaum etwas zu tun hat. „Jeder Wanderer, der ein bisschen aufmerksam durch die Ötschergräben wandert, wird sie sehen. Sie ist nicht sonderlich scheu“, erzählt Katja Weirer, Umweltpädagogin im Naturpark Ötscher-Tormäuer. Besonders markant: Der weiße Fleck auf ihrer Brust, der sie quasi unverwechselbar macht.
Dass die Wasseramsel diesen Lebensraum als ihr Zuhause gewählt hat, ist keineswegs Zufall. Im Naturpark Ötscher-Tormäuer kommen die Bergflüsse von Ötscherbach und Erlau, die sehr naturnahe Gewässer sind, zusammen. Global fließt weniger als ein Viertel der großen Flüsse noch ungehindert von Staudämmen oder Regulierungen, so ein internationales Forscherteam in der Fachzeitschrift „Nature". In Österreich sind es laut dem WWF sogar zwei Drittel von insgesamt 32.000 Flusskilometern, die naturfern oder zerstört sind. Sie werden verbaut, abgeleitet, zerstückelt, oder eingeengt.
Das setzt auch der Wasseramsel zu. Sie braucht diese sauberen, unverbauten, meist schottige Gewässer mit stärkerer Strömung aus mehreren Gründen, so Katja Weirer: „Die Nahrung, die sie braucht, kommt vermehrt dort vor. Damit füttert sie auch ihre Brut. Und um zu brüten braucht sie wiederum unverbaute Ufer.“ Um zu dieser Nahrung zu kommen, taucht sie meist aus dem Flug bis zu rund 20 Zentimeter unter die Wasseroberfläche und sucht und jagt dort nach Insektenlarven – etwa Köcher- oder Steinfliegenlarven– sowie kleinen Fischen oder Kaulquappen.
Das Fließgewässer der Bergflüsse ist sauerstoffreicher, außerdem friert es im Winter meist nicht zu – ein weiterer Vorteil für den Wasservogel, der das ganze Jahr über in Europa bleibt. Selbst bei minus 40 Grad taucht sie noch. Als Anpassung daran hilft ihr ein dichtes, eingefettetes Gefieder, das gegen Kälte und Nässe schützt. Ihr Nest baut die Wasseramsel aus Moos und versteckt ihre Kugelnester entlang des strömenden Wassers, oft in tiefen Höhlungen als Schutz vor möglichen Nesträubern.
Noch in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts sah es besorgniserregend für sie aus: „Danach hat die Zeit begonnen, in der man Uferverbauungen wieder rückgängig gemacht und eine Renaturierung der Flüsse begonnen hat. Dadurch hat auch die Wasseramsel profitiert.“ Effizientere Kläranlagen haben die Wasserverschmutzung eingegrenzt, doch Modernisierungen und Verbauungen von Flüssen sind weiterhin ein Trend. Auch wenn sie heute auf keiner roten Liste steht, ist die Wasseramsel deshalb trotzdem gefährdet, so auch Katja Weirer.
Wozu die Wasseramsel diese wippende Bewegung macht ist übrigens unklar. Es gibt jedoch eine Theorie, so Katja Weirer: „Wenn sie singt, hört sie meist niemand, weil das Wasser so laut rauscht. Deswegen könnte dieses Knicksen eine Art Balztanz sein, durch das sie mit Artgenossen kommuniziert.“