Österreichs Wald hat sich oft gewandelt. Und er wird sich weiter ändern. 10 erstaunliche Fakten zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des heimischen Waldes.
1Der Wald ist ein wahrer Tausendsassa
Das Multitalent Wald liefert – neben dem Holz für verschiedenste Verwendungszwecke - sauberes Wasser, wirkt ausgleichend auf das regionale Klima und ist, so er auch ökologisch nachhaltig oder gar nicht bewirtschaftet ist, Heimat seltener Tier- und Pflanzenarten. Der Wald ist der beliebteste Erholungsraum der ÖsterreicherInnen und fördert nachweislich unsere Gesundheit. In den Bäumen, im Totholz und vor allem in einem gesunden Waldboden speichert er das Treibhausgas CO2, entzieht es somit der Atmosphäre. Und das Beste daran: All diese Leistungen sind gratis. Aber keineswegs umsonst.
2Der Wald war schon mehrmals fast verschwunden
Während der Eiszeiten war Mitteleuropa eine beinahe waldfreie Steppe. Klima und pflanzenfressende Schwergewichte sorgten dafür, dass die offene Grassteppe erhalten blieb: Solange Wollhaar-Mammut, Wollnashorn, Riesenhirsch und Steppenwisent weideten, konnte kein Wald aufkommen. Mit Ende der letzten Eiszeit, als es wieder wärmer wurde, starb ein Teil der gefräßigen Landschaftsgärtner jedoch aus. Die Auerochsen wurden später vom Menschen ausgerottet. Weil die großen und kleinen Pflanzenfresser auch heutzutage vielerorts fehlen, muss man die derzeitigen, viel kleineren Trockenrasen (= Steppen) in Österreich gezielt frei halten und pflegen.
Nach der letzten Eiszeit vor rund 12.000 Jahren wanderten Bäume in die ehemaligen Steppen ein, nach und nach entstanden ausgedehnte Mischwälder. Neueste Forschungen zeigen, dass trotzdem rund 40 % der Landschaft zuerst durch große Pflanzenfresser und danach durch den Menschen bis heute offen gehalten wurden. Je mehr die Pflanzenfresser in den Hintergrund traten, in desto größerem Maßstab rodete der Mensch den Wald, um Land für Ackerbau und Viehzucht zu gewinnen.
3Der Wald ist nur scheinbar „Natur pur“
Heute hat sich der Wald erholt. Urwälder findet man jedoch nur mehr auf weniger als einem Prozent der Staatsfläche, etwa die letzten wilden Buchenwälder im Nationalpark Kalkalpen. Aber auch – man höre und staune – im Lainzer Tiergarten in Wien.
Österreichs Wald ist also v. a. eines: Kulturland. „Wirtschaftswald“. Und das sieht man: Die Fichte dominiert (ca. 60 % aller Bäume) – nicht, weil sie die typische Baumart in weiten Teilen Österreichs ist, sondern weil Förster sie rund 500 Jahre lang gezielt gefördert haben. Denn Fichten wachsen schnell und für den Transport in früheren Zeiten war es außerdem wichtig, dass das Holz leichter als Wasser und somit zu flößen ist. Im Gegenzug ist das Totholz massiv zurückgegangen.
4Totes Holz ist quicklebendig
Egal, ob vermoderndes, von Pilzen überwuchertes Holz am Boden oder alte, knorrige Baumruinen mit Baumhöhlen, in denen Siebenschläfer, Wiedehopf oder Wildbienen wohnen: Für viele Lebewesen ist Totholz überlebenswichtig. In Mitteleuropa kennt man z. B. 1.350 Käferarten, die im und am Totholz leben. Daher sollte ein Mindestmaß an altem Holz auch in „Wirtschaftswäldern“ belassen werden. Auch für die immense Artenvielfalt in Streuobstwiesen spielt Totholz eine entscheidende Rolle.
5Der Wald hat ein Wildproblem
Wie üblich kann man es so oder so sehen. Die einen sagen, Hirsch, Reh und Gams täten nur das, was jedes Tier tun muss: fressen. Die anderen meinen, die drei seien Übeltäter und verursachten „Schäden“. Fest steht: Könnte sich Österreichs Wald etwas wünschen, dann vermutlich weniger Wild, denn der Wildstand ist heute unnatürlich hoch. Das hat auch mit dem Fehlen von Bär und Wolf in unseren Wäldern zu tun.
Die Tanne etwa würde in weiten Teilen Österreichs natürlich vorkommen. Tatsächlich hat sie vielerorts aber Seltenheitswert. Und zwar, weil ihre Jungtriebe – und die der meisten Laubbäume – den vierbeinigen Wald-Gourmets ganz besonders schmecken. Manchmal knabbert, schält und fegt das Wild dermaßen stark, dass von selbst kaum Jungbäume aufkommen. So nimmt der Fichtenanteil im Wald noch weiter zu.
6Der Wald wächst
Weltweit nimmt die Waldfläche ab. Der heimische Wald dagegen ist auf dem Vormarsch. Und das schon seit Jahrzehnten. Fast die Hälfte Österreichs ist heute von Wald bedeckt. Macht 4 Mio. Hektar oder rund 3,4 Milliarden Bäume. Pro Sekunde wächst in Österreich ein Kubikmeter Holz nach. Aus ökologischer Sicht ist das durchaus problematisch, denn gerade die artenreichsten Offenlandflächen wie Almen, Magerwiesen und Trockenrasen wachsen heute zu und die Vielfalt dieser Lebensräume geht zunehmend verloren.
7Der Wald schützt uns alle
Knapp 20 % des heimischen Waldes sind Schutzwald. Dort bewahren die Bäume Menschen, Gebäude, Straßen oder Bahntrassen vor Lawinen, Muren und Steinschlag. Doch das Schutzschild Bergwald wird löchrig. Neben dem Verbiss (siehe Pkt. 6) setzt ihm auch der Klimawandel immer mehr zu (siehe Pkt. 8). Resultat sind überalterte, „gestresste“ Schutzwälder, die sich nach Störungen (z. B. Windwurf) nur langsam erneuern.
8Der Fichte geht es an den Kragen
Hitzesommer, Dürren, Orkane: Der Klimawandel ist im heimischen Wald angekommen. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird es in Österreich um 2 bis 5 Grad Celsius wärmer. Trockenperioden werden zunehmen. In tiefen Lagen Nord- und Ostösterreichs geht es dann der Fichte – dort wo sie klimatisch gar nicht hingehört - so richtig an den Kragen. Zu den Gewinnern zählen vermutlich Eiche und Föhre. Sie können mit Trockenheit besser umgehen.
Die Bergwälder könnten dagegen von steigenden Temperaturen und längerer Vegetationsperiode sogar profitieren. Dort wird die Buche gegenüber der Fichte zulegen. Auch die Waldgrenze wird nach oben steigen. Aber nicht nur sie…
9Ein winziger Käfer ist das Schreckgespenst der Forstwirtschaft
Wird es wärmer, wandert auch der Borkenkäfer in Regionen hinauf, die er bisher verschont hat. Und er vermehrt sich rascher. Auch sein Tisch ist reicher gedeckt, denn mit Vorliebe stürzt er sich auf vorgeschädigte (Fichten-)Stämme. Und die wird es häufiger geben – egal ob durch Stürme (und damit Windwürfe) Hitze oder Trockenheit. Die Bäume sterben dann endgültig ab und brechen zusammen – für die einen Teil der natürlichen Walddynamik, für die anderen eine wirtschaftliche Katastrophe.
10Die Mischung macht’s: Vielfalt dient als „Versicherung“ für die Zukunft
Die Weichen für „zukunftsfitte“ Wälder werden jetzt gestellt. Schon heute sollen die „richtigen“ Bäume nachwachsen, die in mehreren Jahrzehnten dann gut mit geänderten Umweltbedingungen umgehen können (Hitze, Trockenheit, Borkenkäfer). Das kann geschehen, indem man den Wald sich selbst überlässt und auf die Anpassungskräfte der Natur vertraut – etwa in Schutzgebieten, aber auch in „wilden Inseln“ im Wirtschaftswald. Vielfach werden wir dem Wald aber auch aktiv unter die Äste greifen müssen. Aber: Dabei nur die Fichte gegen einzelne andere Baumarten auszutauschen wird zu wenig sein. Es ist generell mehr Artenvielfalt im Wald nötig. Ebenso Lebensraumvielfalt: alte und junge Bäume nebeneinander, lichte und dichte Bereiche, gestufte Waldränder, mehr Totholz, etc. Parallel dazu müssen die Wilddichten waldverträglicher werden. Je naturnäher und „breiter aufgestellt“ Österreichs Wälder sind, desto widerstandsfähiger werden sie in Zukunft sein. (Autor: Uwe Grinzinger)