Die biologische Vielfalt bildet eine wesentliche Grundvoraussetzung für das menschliche Leben. Doch diese gerät aus den Fugen: Mit dem aktuellen Insektensterben verhält es sich nämlich wie bei einem Jenga-Turm: Wir wissen nicht, welche verschwundene Art – wie ein einzelner Baustein des Turms – das System zum Kollabieren bringt.
Die Bewahrung der Artenvielfalt ist daher oberste Priorität, um dem Menschen ein Fortbestehen zu garantieren.
Wie sieht es hierzulande mit dem Insektensterben aus? Blühendes Österreich hat recherchiert und das Insektensterben anhand des Schmetterlings skizziert:
In Österreich ist die Vielfalt im Bedrängnis: ⅘ der Fläche wird land- oder forstwirtschaftlich genutzt, mit allen Chancen und Risiken für die Biodiversität.
Zusätzlich liegt Österreich in puncto Verbauung für Siedlungs-, Verkehrs- und gewerbliche Zwecke im traurigen EU-Spitzenfeld. Über 55 Prozent dieser Flächen gelten als versiegelt und sind biologisch als auch landwirtschaftlich funktionslos. Der Lebensraum für Flora und Fauna wird somit zunehmend eingeschränkt, verstärkt durch eine anhaltende Tendenz intensiverer Landnutzung. Die Folgen für die Artenvielfalt spiegeln sich in den Roten Listen gefährdeter Tiere und Pflanzen wider.
Wozu brauchen wir Insekten?
Insekten sind die Tiergruppe mit der höchsten Vielfalt. Geht es den Insekten gut, geht es dem Ökosystem gut. Sie sind nicht nur Pflanzenbestäuber, sie sind auch am Abbau von totem Tier- und Pflanzenmaterial beteiligt, halten auch "Schädlinge" unserer Kulturpflanzen in Schach und dienen vielen anderen Tierarten als Futter.
Die Insekten sterben leise
Kannst du dich erinnern, als du früher nach einer Autofahrt die Windschutzscheibe von den toten Insekten reinigen musstest? Wann hast du das das letzte Mal gemacht?
Das gängige Artensterben wird in Roten Listen dokumentiert.
Aber: Nur 5 % des Artenspektrums wird dokumentiert und viele Rote Listen sind schon veraltet, d.h. stellen die Situation meist besser dar, als sie mittlerweile ist!
In Österreich herrschen erhebliche Forschungsdefizite, die effektive Schutzmaßnahmen erschweren. Die Citizen Science Schmetterlingsapp sowie das Tagfaltermonitoring Tirol sammeln Daten für die Wissenschaft, um die flatterhaften Schönheiten zu schützen.
Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Anzahl der Tagfalter im Schweizer Mittelland innerhalb von 100 Jahren gar auf nur mehr ein Prozent des ehemaligen Bestandes verringert hat. Ähnlich dramatische Rückgänge sind nach vielfältigen historischen Aufzeichnungen auch für intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen in Österreich anzunehmen, auch wenn statistische Beweise fehlen.
So gilt hierzulande jeder zweite Tagfalterart als bedroht. In Wien sind 17 % der Tagfalterarten ausgestorben.
Die unsichtbaren Gefahren
Viele vom Menschen gemachte Umwelteinflüsse erkennt man erst auf den zweiten Blick im Hinblick auf das Schmetterlingssterben:
- Luftschadstoffe,
- Biozide, u.a. aus Spritzmitteln in Landwirtschaft, Forst und Hausgarten, Holzschutzmitteln u.v.m.,
- Umweltgifte wie Schwermetalle,
- Luftschadstoffe wie Schwefeloxide, Stickoxide und andere Stickstoffverbindungen,
- Weichmacher aus Kunststoffen,
- Wirkstoffe aus Medikamenten,
- chlorierte Kohlenwasserstoffe,
- Feinstaub aus Diesel-Abgasen, Reifenabrieb etc.,
- Ozon
- und Stickstoff
führen zu negativen Veränderungen in Lebensräumen, deren Folgen für die Schmetterlinge schwer messbar sind. Allein der Luftstickstoffeintrag entspricht in manchen Regionen einer Volldüngung und führt zu einer Überdüngung (Eutrophierung) von wertvollen Magerwiesen, Trockenrasen und nährstoffarmer Wälder. Ungewollte Verdriftung von Bioziden scheint nach überzeugenden Indizien in manchen Regionen hauptverantwortlich für den drastischen Rückgang der Faltervielfalt zu sein und betrifft scheinbar intakte Lebensräume.
Besonders bedenklich erscheinen auch bisher kaum beachtete Forschungen zur Auswirkung des bodennahen Ozons. Dieses führt zu massiven Zersetzungserscheinungen von Sexuallockstoffen und könnte somit für den Rückgang der Schmetterlinge in scheinbar unveränderten Biotopen mit verantwortlich sein. Krankheiten sind für Schmetterlinge aktuell indirekt über die Erkrankung von Futterpflanzen wie z.B. das Ulmen- und das Eschensterben von Bedeutung, weil ihre Raupennahrung verloren geht.
5 Gründe für das Insektensterben:
1Pestizideinsatz
Zahlreiche Studien belegen die negativen Folgen von Pestiziden auf Insekten. Die Auswirkungen sind zwar je nach Spritzmittel und Art unterschiedlich, vereinzelte Studien kommen jedenfalls zu einem verheerenden Ergebnis. So wurde der Maivogel, eine EU-geschützte Art mit nur zwei Vorkommen in Deutschland, durch eine Bekämpfung des Schwammspinners mit dem Häutungshemmer Dimilin und mit Bacillus thuringiensis ungewollt beinahe ausgerottet.
Mehr als bedenklich erscheinen Ergebnisse aus zwei Studien in Südtirol. Eine Erhebung nachtaktiver Falter im Gebiet des Kalterer Sees belegte einen Rückgang der Artenvielfalt um 20 Prozent in nur zehn Jahren.
Als Ursache für die ursprüngliche Artenarmut wurde vor allem die intensive obstbauliche Nutzung angrenzender Gebiete mit intensivem Einsatz von Pestiziden angenommen. Ein besonders drastisches Beispiel für die Gefährdung der Schmetterlinge ist der durch intensiven Obstanbau geprägte Vinschgau in Südtirol. Hier konnte in umfassenden Studien ein Rückgang der Artenvielfalt und der Populationsstärken von Tagfalter und Widderchen in nahe gelegenen Trockenrasen konstatiert werden. Die Vinschgauer Gemeinde Mals hat 2014 in einer Aufsehen erregenden und eindeutigen Volksabstimmung ein überwältigendes Votum für ein Pestizidverbot bewirkt.
Der massive Einsatz von unspezifisch wirksamen Insektiziden und Pflanzenschutz-Mitteln, wie z.B. von glyphosat-hältigen Herbiziden, ist generell ein wichtiges Gefährdungspotenzial für Schmetterlinge. Das deutsche Umweltbundesamt hat z.B. mit mehreren Partnern Risikobewertungen zu Glyphosat durchgeführt und stuft das Mittel auch für die Artenvielfalt hochgradig schädigend ein. Der massive Einsatz und die breitbandige Abtötung führen im gesamten ökologischen Kreislauf zur Dezimierung der Artenvielfalt. Schmetterlinge, Bienen andere Insekten oder auch Feldvögel sind durch einen massiven Verlust von Nahrungshabitaten stark betroffen.
2Verbauung und Lichtverschmutzung
Technisierung, Wohnbau, Betriebsansiedelungen, Verkehr sowie infrastrukturelle Maßnahmen wie Tourismus- und Freizeiteinrichtungen verursachen in Österreich einen enormen jährlichen Flächenverbrauch und gleichzeitig eine zunehmende Verinselung der Restlebensräume.
Der Bodenverbrauchsindex der Österreichischen Hagelversicherung zeigt innerhalb von 50 Jahren einen Rückgang des verfügbaren Ackerlandes um ein Drittel.
Auch Verluste durch motorisierten Verkehr und Kahlschlag neben Straßen sind nicht zu unterschätzen. Als einer der gravierenden Faktoren für den Rückgang nachtaktiver Schmetterlinge wird die in den letzten Jahrzehnten dramatisch angestiegene Lichtverschmutzung angesehen. Riesige Mengen von Faltern werden angelockt, verbrannt, gefangen oder irritiert, überfahren und von Feinden gefressen. Dass die Verluste enorm sind, wurde beispielsweise an einer einzigen stark beleuchteten Statue in Süditalien nachgewiesen, mit etwa 5.000 toten Faltern pro Nacht und geschätzten fünf Millionen pro Jahr!
Obwohl keine exakten Zahlen vorliegen, gehen die alljährlichen Verluste an Faltern alleine in Österreich mit Sicherheit in die Milliarden.
3Landwirtschaftliche Intensivierung
Intensivierungen durch Düngung, Koppelbeweidung mit zu hohem Tierbesatz, Umwandlung extensiver Flächen in Monokulturen mit beispielsweise Maisanbau, vor allem in höheren Lagen aber auch Nutzungsaufgabe mit anschließender Verbrachung und Wiederbewaldung sind der Hauptfaktor für den massiven Rückgang von Blumenwiesen und artenreichen Weiden innerhalb weniger Jahrzehnte.
In Magerwiesen blühen bis zu 80 Blütenpflanzen, aber auch Fettwiesen weisen je nach Lage noch bis zu 40 Arten auf und wirken sehr bunt. Die Vielfalt sinkt mit zunehmender Düngung jedoch drastisch auf etwa zehn Arten ab, im Extremfall dominieren nur noch eine oder wenige Gräserarten.
BiologInnen nennen diese heute vielerorts dominierenden und bis zu sechs Mal jährlich gemähten Wiesen, auf denen vor allem Silage (zur Gärung in Plastikfolie verpacktes, vorher nicht getrocknetes Mähgut) erzeugt wird, zurecht Graswüsten. Dies hat zu einer extremen Verarmung der Schmetterlingsfauna geführt. Der Ausfall von konkurrenzschwachen, düngeempfindlichen speziellen Raupennahrungspflanzen und das Fehlen von geeigneten Nektarpflanzen verursachen in Kombination mit den mechanischen Auswirkungen der Mahd einen signifikanten Rückgang der Arten- und Individuenzahlen.
Das Ausmaß landwirtschaftlicher Intensivierungen ist kaum dokumentiert und eine Quantifizierung der Flächenverluste durch Intensivierung daher weitgehend unmöglich. Wenige exakt belegte Beispiele sprechen jedoch eine deutliche Sprache. So reduzierten sich ökologisch hochwertige Streuwiesen in Vorarlberg vor ihrer Unterschutzstellung zwischen 1970‒1986 von 3.700 ha auf 2.070 ha.
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4Gewässerbauliche Massnahmen
Anthropogen verursachte Grundwasserabsenkungen als Folge von Flussbegradigungen oder intensivem Wasserverbrauch wirken sich negativ auf die Schmetterlingsvielfalt aus. So ist das in Österreich nur im Großraum Feldkirch bzw. im Wiener Becken vorkommende Moor-Wiesenvögelchen in Folge der Änderungen im Lebensraum extrem zurückgegangen, in weiten Bereichen des ehemaligen Vorkommens bereits ausgestorben.
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5Klimaerwärmung, Naturkatastrophen
Die globale Klimaerwärmung und ihre möglichen Folgen sind heute ein vieldiskutiertes Schreckensszenario mit unabsehbaren Folgen für die Umwelt. Historische Klimaschwankungen, die sich unter anderem in Eiszeiten oder Wärmeperioden widerspiegeln, sind zwar schon lange bekannt, besorgniserregend erscheinen aber vor allem Geschwindigkeit und Ausmaß der aktuellen Temperaturzunahme.
Die Auswirkungen für Schmetterlinge sind möglicherweise dramatisch und könnten zum Aussterben vieler Arten führen. Während wärmeliebende Schmetterlinge zu den Gewinnern zählen können, besteht vor allem für Kälte liebende postglaziale Reliktarten ein hohes Aussterberisiko. So geben einschlägige Studien dem in Österreich ohnedies nur im Lechtal vorkommenden Wald-Wiesenvögelchen selbst bei Berücksichtigung eines optimistischen Szenarios keine Chance. Einzelne Arten der alpinen Regionen gelten als gefährdet, mit Aussterberisiken spätestens, sobald ein weiteres Hochwandern nicht mehr möglich ist.
Auch das im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung vermutete verstärkte Auftreten von Naturkatastrophen wie lange anhaltende Dürreperioden wird als potentielle Gefahr für Schmetterlinge diskutiert. Extremereignisse wie Starkregen, Hagelschlag, Murenabgänge oder Hochwasser können jedenfalls nachgewiesenermaßen zu massiven lokalen Populationseinbußen oder sogar zum regionalen Aussterben von Arten führen.
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