Michael Hohla aus Obernberg am Inn kam durch einen Zufall zur Botanik und ist heute einer der führenden Hobbybotaniker Österreichs. Seit fast 20 Jahren beschäftigt er sich mit der heimischen Flora. Mit Maria Schoiswohl spricht er über artenreichen Lebensraum in der Stadt, die Faszination Natur und die Hysterie um Neophyten.

Herr Hohla, Sie waren zuerst Bankkaufmann, wurden Hauptschullehrer, sind heute Berufsschullehrer. Für Ihre Leistungen in der Botanik wurden Sie vor zwei Jahren zum Professor ernannt. Verraten Sie uns den Ursprung Ihrer botanischen Leidenschaft?

Als ich meine Hauptschullehrerausbildung an der Pädagogischen Akademie in Linz begann, wählte ich Englisch als Hauptfach und wollte Musik als Nebenfach nehmen. Ich bin ein Musiknarr, kann aber keine Noten lesen. Meine Frau riet mir zu Biologie und das habe ich spontan genommen. Ich hatte da einen tollen Professor mit dem wir Exkursionen in den Böhmerwald, an den Neusiedler See, in die Donauauen machten und ich dachte: „Botanik ist toll!“

So einfach ging das?

Der Lehrer war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zur Ausbildung bin ich dann täglich mit dem Zug von Schärding nach Linz gefahren und habe meinem Professor "Eisenbahnpflanzen" als Thema für meine Hausarbeit vorgeschlagen. Ich dachte damals, ich wäre der erste weltweit, der sich damit beschäftigt. Aber es gab da Helmut Melzer aus Zeltweg, der sich das Thema schon seit den 50er Jahren zu Eigen gemacht hatte. Ich traf ihn am 1. Juni 1997 am Welser Hauptbahnhof. Daran erinnere ich mich ganz genau. Ein Mann um die 80 Jahre, kriegsversehrt, und wir machten uns an diesem sehr heißen Tag über den Bahnhof her. Das war der erste Tag meiner Leidenschaft. Herr Melzer war einer der ersten Floristen in Österreich (Anm.: Botaniker, der sich der Floristik widmet) und ich habe viel von ihm gelernt.

Was kann man an Bahnhöfen und -anlagen entdecken?

Da gibt es viel zu entdecken. Dazu muss man wissen, dass die Landschaft außerhalb der Siedlungsgebiete artenärmer wird und jene in Siedlungsgebieten artenreicher. Man hat in der Stadt eine abwechslungsreichere Struktur – Gärten, Gebüsch, Blütenpflanzen –, und Ruderalflächen wie etwa Schottergruben ermöglichen eine bunte Vielfalt.

Die Stadt hat also eine größere Artenvielfalt als das Land?

Man entdeckt in einer Siedlung oft mehr als in Feuchtwiesen oder Naturmooren. Das rührt daher, dass wir uns sehr schwer tun, diese Flächen am Land zu erhalten – einfach durch die intensive Nutzung als Kulturlandschaft.

Was fasziniert Sie an der Botanik?

Die Faszination liegt darin, dass man nichts beschleunigen kann. Wir neigen dazu, alles sofort haben zu wollen. Aber das spielt es in der Natur nicht – man muss warten. Wer den Rhythmus der Natur beobachtet, lebt mit ihr mit. Ich sage immer: "Es ist wie ein- und ausatmen." Die Natur atmet.

Wie kann man sich Ihre Arbeit als Botaniker vorstellen?

Die Botanik hat ein starkes Suchtpotenzial. Man könnte den ganzen Tag forschen und abends vor dem Mikroskop sitzen, aber man darf die Bodenhaftung nicht verlieren. Es ist nicht nur eine Arbeit im Gelände, man muss auch viel lesen, mit Daten arbeiten und ich publiziere viel. Grundsätzlich darf man als Botaniker nicht scheu sein, sondern die Chuzpe haben, Kontakt aufzunehmen, nachzufragen. Auch Spezialisten an den Unis freuen sich, wenn sie erfahren, wo welche Arten noch vorkommen.

Beschreiben Sie uns einen klassischen Tag, den Sie mit Ihrer Leidenschaft verbringen.

Ich integriere die Botanik natürlich in den Alltag, die Balance zu Arbeit und Familie muss gegeben sein. Wenn ich weiß, ich habe zwei bis vier Stunden für die Botanik Zeit, dann bereite ich mich gedanklich vor. Möchte ich ein Art suchen oder eine Vollkartierung vornehmen, sprich alles bestimmen, was ich in einem bestimmten Gebiet finde? Ich nehme mein Diktiergerät mit und ziehe los.

Eine Vollkartierung haben Sie beispielsweise für das Innviertel vorgenommen.

Ja. Vom Innviertel habe ich 100.000 Datensätze. Daran habe ich 18 Jahre lang gearbeitet und stehe nun kurz vor dem Datenschluss. In den Datensätzen ist die Art, der Ort, die Koordinaten, das Habitat, sprich alles zu einer Art hinterlegt. Ein ähnliches Projekt habe ich zu den Armleuchteralgen in Oberösterreich gemacht und heuer gehen wir in einer Gruppe die Brombeeren in Niederösterreich an. Die sind ähnlich schwierig wie der Löwenzahn.

Was ist am Löwenzahn schwierig?

Man findet vor der Haustüre schnell etwas, das man nicht bestimmen kann. In Österreich gibt es beispielsweise geschätzt 300 Arten des Löwenzahns. Hat man zehn Löwenzähne auf einer Wiese, kann man maximal zwei bestimmen. Da muss man dann sein Netzwerk um Rat fragen. Ich tausche mich etwa mit Freunden und Kontakten in Ungarn, Tschechien, Belgien, Deutschland oder Frankreich aus. Man ist da eine richtige Community.

Sie forschen auch sehr viel zu Neophyten, Pflanzen die durch den Menschen nach Österreich gekommen sind. Oft hört man – diese Pflanzen schaden der heimischen Flora.

Es gibt sogar den Spruch, dass Neobiota – also fremde Pflanzen und Tiere – nach dem Menschen die zweitgrößte Ursache für das Artensterben sind. Das sehe ich nicht so. Da kommt viele Male zuvor der Mensch. Aber beim Thema Neophyten scheiden sich die Geister. Ich untersuche Friedhöfe, Autobahnen und Schottergruben und kenne mich aktuell vielleicht sogar am besten mit Neophyten in Österreich aus. Man muss sagen: Das Thema wird zu hysterisch behandelt. Fremde Pflanzen und Tiere verursachen Schäden, ja, aber oft nur finanzieller Natur. Den Bauer plagt das Unkraut, den Waldbauern die Neophyten, die junge Bäume ersticken, aber es gibt auch viele wuchernde Pflanzen, die gar keine Neophyten sind. Ein Beispiel ist die Brennnessel, die durch die Nährstoffe in der Landwirtschaft und die Felder, die bis zum Waldesrand reichen, nun zu wuchern beginnt. Es gibt einfach viele Pflanzen, bei denen wir gar nicht sagen können, ob sie heimisch oder fremd, nützlich oder schädlich sind. In der Natur gibt es nicht Schwarz und Weiß, sondern es gibt viele Übergänge.

Was können wir nun konkret tun, um die Natur zu schützen?

Es braucht einerseits eine unaufgeregte, ehrliche, sachliche und faire Information zu den Themen. Und es geht um Bewusstsein. Als Konsument habe ich es in der Hand. Wir schauen etwa ganz bewusst darauf, woher unsere Lebensmittel kommen. Als Wähler und als Konsument hat man die größte Kraft um mitzubestimmen. Und diese Kraft sollte man in einer Demokratie nutzen.

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