Die Grundlage unseres Lebens
Um zu verstehen, warum diese Krisen so eng miteinander verbunden sind und warum es so wichtig ist, sich mit ihnen auseinander zu setzten, müssen wir uns folgendes vor Augen führen: Ökosysteme erbringen tagtäglich, zu jeder Zeit, verschiedene Leistungen,die die Grundlage unseres Lebens darstellen, z.B. Bodenbildung, Bestäubung, Bereitstellung von Wasser und Nahrung, usw.
Diese Leistungen und ihr Wert sind schwer zu erfassen, weil sie kostenlos und selbstverständlich für uns sind. Wer denkt schon jeden Tag daran, dass in einer Handvoll Erde Millionen Lebewesen daran arbeiten, Nährstoffe umzusetzen? Ohne sie gäbe es keine funktionierenden Kreisläufe, keine fruchtbaren Böden, keine Nahrungsmittel.
Verschwinden nun einige Arten oder werden die Umweltbedingungen verändert, so gerät das komplexe Zusammenspiel aus dem Gleichgewicht und die für uns Menschen wichtigen Leistungen können nicht mehr erbracht werden.
Wir müssen uns also bewusstwerden, dass wir von Ökosystemen abhängig sind und dass wir mit unserer derzeitigen Lebensweise genau diese Systeme in Gefahr bringen und zerstören.
Zusammenhänge erkennen und verstehen
Stark vereinfacht und verkürzt möchte ich hier einige wichtige Zusammenhänge erklären.
Eine ausführlichere Darstellung befindet sich auf der Homepage der Wiener Umweltanwaltschaft.
Zerstörung von Ökosystemen und Lebensraumverlust
Durch unsere Aktivitäten verschlechtert sich der Zustand von Ökosystemen und Lebensräumen und im schlimmsten Fall werden sie zerstört. Das passiert direkt (z.B. durch Versiegelung, intensive Landwirtschaft) und indirekt, durch die Änderung des Klimas (z.B. durch die Zunahme von Wetterextremen und daraus folgenden Überschwemmungen, Waldbränden, usw.). Durch den Verlust des Lebensraumes nimmt die Biodiversität ab.
Für Bautätigkeiten werden Ressourcen benötigt und Treibhausgase freigesetzt. So wirkt sich der Lebensraumverlust nicht nur negativ auf die Biodiversität aus, sondern auch auf das Klima. Und je mehr sich das Klima in kurzer Zeit ändert, desto mehr Lebensraum geht wiederum verloren.
Ökosysteme können sich oft nur über einen langen Zeitraum erholen. Gerade Moore und Wälder speichern aber viel CO2 – ihre Zerstörung treibt die Klimakrise weiter an.
Viele Arten können sich nicht so schnell an das veränderte Klima anpassen. Manche sind mobil und können abwandern, aber nicht immer ist dafür genug Platz (z.B. im Gebirge oder bei unüberwindbaren Barrieren). So verändert sich nach und nach die Zusammensetzung der Arten. Die Vielfalt geht verloren und die Ökosysteme werden einander ähnlicher, denn überall setzen sich die gleichen anspruchslosen Arten durch.
Krankheiten können sich innerhalb einer häufigen Art effizienter und schneller ausbreiten, denn bei hoher Artenvielfalt würden die geeigneten Wirte nur vereinzelt vorkommen.
Die Ökosysteme sind durch den Verlust der Vielfalt auch weniger resilient, also weniger anpassungsfähig und stabil, und das Risiko steigt, dass sie wichtige Leistungen nicht mehr erbringen können.
Stress
Das veränderte Klima stresst Arten zusätzlich zu den Herausforderungen, denen sie durch die Aktivitäten des Menschen ohnehin schon ausgesetzt sind. Zumeist kommen gleich mehrere Stressfaktoren durch das veränderte Klima zusammen, z.B. Wassermangel und hohe Temperaturen.
Auch Spätfröste sind zunehmend ein Problem. Durch milde Temperaturen zu Frühlingsbeginn treiben Pflanzen früher aus und Zugvögel kehren früher aus ihren Winterquartieren zurück. Eine anschließende Schlechtwetterphase mit Frost setzt ihnen zu.
Klimatische Veränderungen bedeuten Stress und können dazu führen, dass sich Arten weniger fortpflanzen und/oder weniger Nachwuchs haben. Komplexe Kreisläufe und Gleichgewichte, wie z.B. Nahrungsbeziehungen, werden gestört.
Verlust genetischer Vielfalt
Durch genetische Vielfalt ist die Anpassung an neue Bedingungen möglich. Klimatische Bedingungen ändern sich derzeit relativ schnell und es wird für alle Lebewesen immer wichtiger, sich an diese anzupassen. Mit dem Verlust der Biodiversität auf genetischer Ebene geht das Anpassungspotenzial verloren, die genetische Variabilität von Populationen wird eingeschränkt und Effekte wie Inzucht und die Anfälligkeit für Krankheiten steigen.
In der Forschung und Medizin kann die Analyse der genetischen Vielfalt wichtige Erkenntnisse liefern, um Krankheiten zu heilen oder neue Technologien zu entwickeln. Mit dem Verlust der Arten geht auch die Chance verloren, ihr genetisches Potenzial zu erforschen.
Intensive Landwirtschaft
Intensive Landwirtschaft wirkt sich negativ auf Klima und Biodiversität aus, durch den Verlust von natürlichen Strukturen und Lebensräumen, Pestizid- und Düngemitteleinsatz, bei dem Treibhausgase freigesetzt werden. Auch bei der Erschließung neuer Flächen für die landwirtschaftliche Produktion, werden Treibhausgase frei.
Durch die Klimakrise werden Wetterextreme häufiger und verursachen erhebliche Schäden.
Je mehr auf diese intensive Form der Ressourcennutzung gesetzt wird, desto schwieriger wird es in Zukunft die Ernährungssicherheit zu gewährleisten.
Verlust der Sortenvielfalt
Durch die Änderung des Klimas und die mögliche Ausbreitung neuer Schädlinge und Krankheiten wird es in Zukunft immer wichtiger werden, Sorten anzubauen, die besser mit Trockenheit und höheren Temperaturen zurechtkommen. Leider werden in der intensiven Landwirtschaft nur wenige Sorten kultiviert und genau die Vielfalt, die künftig für die Ernährungssicherheit gebraucht werden könnte, geht dabei verloren.
Massentierhaltung
Die Produktion von Fleisch und Milchprodukten ist sehr ressourcenaufwendig: Nutztiere müssen aufgezogen, ihre Futtermittel produziert, transportiert und oft aus tropischen Regionen importiert werden. Dazu kommt, dass im Zuge des natürlichen Stoffwechsels der Tiere (besonders bei den Wiederkäuern) klimawirksame Gase produziert werden. Unser Fleischkonsum treibt also Klima- und Biodiversitätskrise weiter an.
Würden auf den Flächen – statt Futtermittel – Pflanzen direkt für den menschlichen Verzehr angebaut, wäre die Ausbeute an Nahrungsmitteln um ein Vielfaches höher und die wertvollen Böden wären effizienter genutzt.
Die Haltung einer großen Zahl an Tieren auf engem Raum ist nicht nur unethisch, sondern so naturfern und lebensfeindlich, dass die Tiere krank werden, wenn sie keine Medikamente zu sich nehmen. Je mehr und öfter Antibiotika eingesetzt werden, desto eher passen sich die Bakterien an und die Medikamente wirken nicht mehr. Künftig wird es immer schwieriger werden, bakterielle Infektionskrankheiten zu behandeln.
Durch die industrielle Tierhaltung kommt es auch zu einem engen Kontakt von Mensch und Nutztier. Das begünstigt die Übertragung von Krankheiten.
Konflikte und Jagd
Die Veränderung von Verbreitungsgebieten und die zunehmende Ressourcenknappheit aufgrund der Klimakrise werden zu mehr Konflikten zwischen Wildtieren und Menschen führen. Das wird den Wunsch nach Jagd verstärken und den Druck auf die Wildtiere erhöhen.
Wenn bewohnbare, fruchtbare Regionen kleiner werden, kommt es zu engerem Kontakt mit Wildtieren und zur vermehrten Nutzung von Wildtieren als Nahrungsressource. Auch seltene, geschützte Arten sind mitunter betroffen und das verursacht ihr Verschwinden in bestimmten Regionen.
Sowohl der enge Kontakt, als auch der Verzehr von Wildtieren kann zur Übertragung von Krankheiten führen. Die Klimakrise und unser respektloser Umgang mit Wildtieren begünstigt Pandemien.
Probleme lösen
Aktuelle Krisen zeigen, dass Mensch und Natur nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, denn Klima, Biodiversität, Gesundheit und Wohlbefinden sind untrennbar miteinander verbunden und Probleme müssen gemeinsam gelöst werden.
Wir müssen uns den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ursachen der Krisen stellen und einen Wandel vollziehen: von der Übernutzung der natürlichen Ressourcen, zu einer nachhaltigen Nutzung und einer gerechten Verteilung der Vorteile, die sich daraus ergeben. Jede*r einzelne kann einen Beitrag dazu leisten, z.B. durch umweltfreundliche Mobilität (zu Fuß, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln), eine Reduktion des Fleisch- und Fischkonsums, den Kauf von Bio-Lebensmitteln, eine naturnahe und wildtierfreundliche Garten- oder Balkongestaltung, den Verzicht auf „fast fashion“, das Reparieren und Wiederverwenden von Produkten, und vieles mehr. Viele Tipps und Informationen dazu finden sich auch auf der Homepage der Wiener Umweltanwaltschaft.
Durch den Schutz der Biodiversität wird sichergestellt, dass Ökosysteme weiterhin wichtige Leistungen erbringen, die die Grundlage unseres Lebens darstellen.
Klimaschutz und Biodiversitätsschutz sind kein Luxus, sondern zwingend notwendig.
Über die Autorin: Die Biologin Iris Tichelmann ist Naturschutzreferentin bei der Wiener Umweltanwaltschaft. Sie beschäftigt sich mit Natur-, Klima- und Artenschutz, sowie mit Umweltpädagogik und leitet das Schulprojekt „Wildnis (ist) Klasse“.