„Ursprünglich war das Moorgebiet hier 2.000 Hektar groß“, sagt Moorführerin Maria Wimmer. Dann kam der Mensch. Er entwässerte die Moore und baute Torf ab. Daher sind heute nur mehr Bruchstücke der ehemaligen Moorfläche erhalten – etwa das Ibmer Moor. Einzigartige, seltene Tiere und Pflanzen bevölkern dieses Moor. Ihre gefinkelten Überlebensstrategien verraten einiges über den Lebensraum Moor.
1Torfmoos: Der Moor-Platzhirsch, der über sich hinauswächst
Nach oben strecken, nach unten Leichen hinterlassen: Was klingt wie eine gängige Karrierestrategie in Unternehmen, hat auch das Torfmoos drauf. Seine oberen Teile wachsen ständig weiter, die unteren Teile sterben ab. Durch die saure Umgebung und Sauerstoffarmut verrotten diese "Torfmoos-Leichen" jedoch nicht.
Abgestrobene Torfmoose stapeln sich daher immer höher auf, der sogenannte Torf entsteht. Bis aus dem ursprünglichen Niedermoor ein Hochmoor geworden ist.
Maria fasst zusammen:
"Hochmoore haben nichts mit der Seehöhe zu tun. Sie heißen so, weil sie in die Höhe wachsen“.
Durchs Aufwölben des Moores erreichen jedoch die Pflanzenwurzeln das Grundwasser nicht mehr. Wie jetzt an Wasser und Nährstoffe kommen? Pfiffige Lösung des Torfmooses: Es speichert Regenwasser wie ein Schwamm. Die Nährstoffe bezieht es ebenfalls aus Regen oder angewehtem Staub. Große Sprünge kann man damit zwar nicht machen. „Im Schnitt wird der Torf pro Jahr nur einen Millimeter höher“, weiß Maria.
Aber dennoch: Das reicht, um das Torfmoos zum unumstrittenen Platzhirsch im Hochmoor zu machen. Denn für die meisten anderen Pflanzen verwandeln Nährstoffarmut, Säure oder Trockenheit das Hochmoor schlicht in eine lebensfeindliche „No Grow Area“.
Einige wenige Konkurrenten haben sich in punkto Nährstoffmangel jedoch ebenfalls Tricks einfallen lassen:
2Sonnentau: Die gar nicht vegetarische Fallensteller-Pflanze
Der Sonnentau, eine winzige Hochmoorpflanze, ist schlicht zum „Fleischfresser“ geworden. Er heißt so, weil seine Drüsenhaare Klebtröpfchen abgeben, die in der Sonne glitzern. An diesen „Tentakeln“ bleiben Insekten haften, die der Sonnentau „verdaut“ – fertig ist der Eiweiß-Snack! Und der Fallensteller hat durchaus Appetit: Pro Saison verspeist jede Pflanze an die 2.000 Insekten.
Übrigens: Auch andere Moorpflanzen, wie Wasserschlauch und Fettkraut, haben vergleichbare Strategien entwickelt, um Tiere zu fangen.
3Heidekraut: Der Zwergstrauch, der verpartnert lebt
Das immergrüne Heidekraut begegnet der Nährstoffflaute im Hochmoor mit Kooperation: Es lebt in Symbiose mit unterirdischen Mykorrhiza-Pilzen. Diese Pilze sorgen nicht nur für Ratlosigkeit bei Rechtschreibtests, sondern kommen an Nährstoffe einfach besser heran.
Und fertig ist das Tauschgeschäft: Der Pilz lässt die Heidekrautwurzeln bei Stickstoff und Phosphor mitnaschen. Das Heidekraut revanchiert sich mit Zucker aus der Photosynthese. So entsteht eine schlagkräftige „Zweier-WG“, die im Hochmoor überleben kann. Auf sich alleine gestellt würden beide Partner vermutlich daran scheitern.
Übrigens: Das Heidekraut heißt auch „Besenheide“, weil es früher für den Kehraus sorgte: Seine Holzstängel wurden zu Besen gebunden.
----------------------------------------
----------------------------------
Aktiv werden:
Das Ibmer Moor kannst du durch „Naturschauspiel“-Führungen kennenlernen.
----------------------------------
4Birkenporling: Der Pilz, der Bäume fällt
Typische Poinierbäume im Moor sind Weißbirke und Moorbirke. Letztere fühlt sich auch bei Temperaturen wie im Dreistern-Gefrierfach immer noch wohl. Aber warum sind etliche Birken waagrecht gekappt?
Dafür ist ihr Untermieter verantwortlich, der Birkenporling. Er wächst ausschließlich auf Birken. „Sein Pilzgeflecht durchzieht den Baumstamm waagrecht“, erzählt Maria. „Es schwächt das Holz, bis der Stamm auf Höhe des Pilzbefalls abbricht. Auch ‚Ötzi‘, die Gletschermumie aus der Jungsteinzeit, hatte getrocknete Birkenporlinge mit.“
Kein Wunder, denn dieser Pilz ein echter Inhaltsstoff-Tausendsassa: Auf Wunden wirkt er entzündungshemmend, blutstillend und desinfizierend. Er heilt Verdauungsprobleme, Atemwegserkrankungen, soll auch das Immunsystem stärken sowie Diabetes und Nervenleiden lindern. Und als Rauschmittel beschert er angeblich kunterbunte Halluzinationen.
5Moor-Spirke: Die Latsche, die nach Höherem strebt
Wer beim Bergwandern jemals schon näher mit der Latsche (= Legföhre) zu tun hatte, vergisst sie garantiert nicht mehr. Denn diese Föhre bildet widerborstig-biegsame Strauchdickichte. Dort ist kaum ein Weiterkommen. Für die Latsche hingegen sind ihre fantastisch elastischen Äste ein Segen: Sie brechen auch bei hohem Schneedruck nicht ab.
Die Latsche hat aber nicht nur das Gebirge erobert, sondern auch die Moore. Im Ibmer Moor gibt es außerdem eine höchst seltene Abwandlung der Latsche: die Moor-Spirke. Sie kann sich durchaus zu baumartigem Wuchs aufschwingen. Bei zu kargen Wuchsbedingungen verzichtet aber auch die Moor-Spirke lieber auf Höhenflüge und bleibt als Strauch in Bodennähe – wie die „klassische“ Latsche.
6Bekassine: Der Vogel, der einiges zu meckern hat
Zugegeben: Unter den 150 Vogelarten im Ibmer Moor zählt die Bekassine nicht gerade zu den Schönheiten. Der Schnepfenkörper: eher plump. Der lange Schnabel: sieht aus, als hätte man ihn ans falsche Tier montiert.
Aber die Bekassine beeindruckt mit schrägen Tönen: Im Frühjahr vollführen die balzenden Männchen tollkühne Sturzflüge. Streicht dabei Luft durch die gespreizten Schwanzfedern, klingt das, als ob eine Geiß meckern würde. Daher der wenig charmante Beiname „Himmelsziege“.
Das „Meckern“ der Bekassine kannst du hier hören.
Was ihren Lebensraum betrifft, hätte die Bekassine tatsächlich einiges zu meckern. Denn ihre Nester errichtet sie am Boden, bevorzugt in Mooren und Feuchtwiesen. Doch genau diese Lebensräume sind in der Vergangenheit immer seltener geworden.
Im Ibmer Moor konnte sich dennoch eine stabile Bekassinen-Population etablieren – durch Schutz- und Pflegemaßnahmen (siehe Pkt. 7). Von ihnen profitiert auch ein zweiter Bodenbrüter: der Große Brachvogel. Beide Vogelarten haben ihre bedeutendsten österreichischen Vorkommen im Ibmer Moor: rund 22 Brutpaare (Bekassine) bzw. 18 Brutpaare (Großer Brachvogel).
7Wollgras: Das Watteknäuel, mit dem uns ein Licht aufgeht
„In den nassen Niedermoor-Streuwiesen leben ganz besonders viele seltene Pflanzenarten“, erzählt Maria Wimmer. „Wir haben zum Beispiel 17 verschiedene Orchideenarten hier“, etwa das Helm-Knabenkraut.
Die nassen Wiesen schätzt aber auch das Wollgras. Seine Fruchtstände sehen aus wie Zuckerwatte-Bäusche. Die wollig-weißen Flocken segeln mithilfe des Windes davon und keimen, wo sie landen. Früher sorgte das Wollgras auch dafür, dass uns ein Licht aufging: Aus seiner Fruchtwolle wurden Kerzendochte geflochten. Ebenso diente sie als Watte für die Wundversorgung und für Polsterfüllungen.
„Die artenreichen Streuwiesen sind aber nicht von Natur da gewesen, sondern der Mensch hat sie geschaffen – durch Mahd“,
erklärt Maria. Damit die Streuwiesen nicht mit Büschen zuwachsen, müssen sie weiter gemäht werden. Aber nur einmal im Jahr und nicht zu zeitig. Dadurch haben Wollgras & Co die Chance, sich vor der Mahd noch zu vermehren. Und auch Bekassine und Brachvogel erhalten so genügend Zeit zum Brüten am Boden, bevor der Balkenmäher kommt. Mäht man die Feuchtwiesen zu früh, zu oft, düngt oder entwässert sie, verschwinden sowohl Bodenbrüter als auch Pflanzen-Raritäten.
8Moorfrosch: Der Frosch, der einfach mal blau macht
Einmal im Jahr kann man im Ibmer Moor sein blaues Wunder erleben: Im zeitigen Frühjahr wirft sich Herr Moorfrosch nämlich sein himmelblaues Hochzeitskleid über. Er verfärbt sich von Alltagsbraun auf Liebestaumelblau.
Und zwar nicht, um bei den Damen Eindruck zu schinden. Vermutlich richtet sich der Farbwechsel an andere Froschmänner. Denn in den Moorlacken geht es beim Paarungsgetümmel oft drunter und drüber. Da kann es nicht schaden, den anlassigen Konkurrenten unmissverständlich anzuzeigen: Bei mir könnt ihr euch Anbahnungsversuche sparen – ich bin selbst ein Männchen.