Im Frühling steht bei Schafbauer Stefan Hirsch in Retz die Schur seiner wolligen Merino-, Berg- und Waldschafe an. Warum diese jährliche Prozedur so wichtig ist, Lämmchen ihre Mütter manchmal nicht wiedererkennen und sture Böcke ihrem Image nicht gerecht werden, erfährst du hier.
Alles neu macht der Mai. Das trifft auch auf die Garderobe von Stefan Hirschs Schafherde zu. Denn ab jetzt ist leichte Frühjahrsmode angesagt – Zeit für die Schafschur. Einmal im Jahr, nachdem die Eisheiligen Mitte Mai überstanden sind, ist es soweit: Schafbauer Stefan zückt die Schermaschine und widmet sich ganze vier Tage der Schur von 80 Schafen. Eigentlich besteht seine Herde ja aus insgesamt 130 Tieren, aber die kleinen Lämmchen dürfen ihre Wolle behalten, bis sie etwa ein Jahr alt sind.
Die insgesamt 50 Jungtiere, denen Stefan Hirsch im vergangenen Jänner auf die Welt geholfen hat, sind wohlauf. Im Gegensatz zu etwa sechs Tieren, die es leider nicht geschafft haben. „Diese Ausfälle sind traurig, aber ganz normal“, sagt Stefan, „manche Tiere sind einfach zu schwach und sterben schon bei der Geburt.“ Der Rest läuft aber glücklich in der Herde herum, trinkt bei der Mutter und hat auch schon ordentlich zugenommen. Etwa 20 Kilo bringen sie jetzt auf die Waage. Manche Schäfer bringen die Tiere schon mit nur acht Wochen zum Schlachter, bei Stefan dürfen sie allerdings etwas länger bleiben. Erst wenn sie rund 40-50 Kilo haben bzw. mit 4-5 Monaten wird es ernst. Allerdings auch nur für die männlichen Lämmchen, denn die schönsten Weibchen dürfen bleiben – mit ihnen möchte Stefan eine neue Herde gründen. Für sie geht es dann erst im nächsten Jahr ans Scheren.
Denn am sonnigen Parapluiberg, auf dem die Tiere im Sommer sozusagen als Landschaftspfleger die wertvollen Naturschutzflächen und den stark gefährdeten Trockenrasen beweiden, braucht man keinen Wollmantel. Die Stadt Retz und die Stiftung Blühendes Österreich unterstützen im Zuge des Naturschutzprogramms Flora Schafbauer Stefan Hirsch bei dieser Maßnahme zum Schutz vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten.
Kein Stress mit sturen Böcken
Rund zehn Minuten braucht Stefan für das Scheren eines Schafes und die Technik, wie man es dabei am Platz behält, ist Geschmackssache: „Manche Bauern klemmen das Tier zwischen die Beine, ich lege sie lieber auf den Rücken. Wenn sie dann richtig liegen, halten sie von selber still“, erzählt Stefan bevor er sich das nächste Schaf schnappt. Dabei ist es wichtig, dass er die Haut gut spannt, um die Schafe nicht zu verletzen. Geduldig sind sie, Stefans Tiere, immerhin kennen die meisten diese Prozedur ja schon. Und sie wird auch immer kürzer, denn Stefans Erfahrungsschatz steigt mit jeder Schur und in diesem Jahr wird es die achte sein. „Man lernt immer neue Tricks und Handgriffe dazu“, erzählt er, „nur bei den Jungtieren ist es manchmal noch eine Rauferei.“ Einiges an Kraft braucht der Bauer dabei jedenfalls, rund 90 Kilo bringen manche Tiere auf die Waage – obwohl sie nach der Schur um bis zu vier Kilo leichter sind.
Entgegen ihrem Image sind die sonst so sturen Schafsböcke bei der Schur übrigens am „gemütlichsten“ – zum Glück, immerhin bringt es der größere der beiden Böcke auf stolze 125 Kilo. Warum es überhaupt zwei gibt? Stefan konnte dem Charollaisschafsbock einfach nicht widerstehen...
Sonnenschutz für Schafe
Manche Bauern scheren ihre Tiere auch zweimal pro Jahr, aber das ist bei Stefans Herde nicht angebracht – „damit ihnen nicht kalt wird“. Immerhin verbringen sie fast das gesamte Jahr an der frischen Luft und sind auch im Winter draußen zu Hause.
Vor allem im Sommer hilft Stefan mit seiner Herde aktiv dem Naturschutz. Denn die Tiere beweiden dann sozusagen als Landschaftspfleger die wertvollen Naturschutzflächen und den stark gefährdeten Trockenrasen des Parapluiberg. Im Zuge des Naturschutzprogramms Flora wird der Schafbauer dabei von der Stadt Retz und der Stiftung Blühendes Österreich unterstützt.
Nach der Schur bleiben nur etwa vier Millimeter Wolle stehen. Deshalb muss man nun besonders gut auf die empfindliche Haut aufpassen – auch im Mai kann die Sonne schon so stark sein, dass sich die Schafe einen ordentlichen Sonnenbrand holen könnten. Dann kann aus einem schwarzen Schaf schon einmal ein rotes werden...
Wenn du noch mehr über die wolligen Multitalente erfahren oder sogar Stefan Hirschs Schafherde persönlich treffen möchtest, begib’ sich am besten am 12. Mai auf Wanderschaft ins Weinviertel: Literatur & Wandern in Retz, diesmal mit Eckhard Fuhr, bietet die ideale Möglichkeit dazu.
Neuer Duft, verwirrte Lämmchen
Das veränderte Aussehen nach der Schur führt bei den Lämmchen übrigens immer wieder zu Verwirrung – die Jungtiere erkennen ihre Mutter manchmal nicht mehr. „Das liegt wohl daran, dass sie nach der Schur anders riechen, nämlich intensiver“, sagt Stefan. An der Tonlage der Rufe der Kleinen findet dann aber wieder zusammen, was zusammen gehört. Und nach einiger Zeit und einigem Fremdeln erinnern sich die Lämmchen auch wieder an ihre Mutter.
Hohe Hygienestandards – keine Chance der Moderhinke
Die Schur ist jedenfalls wichtig, um die Schafe vor Parasiten zu schützen. Und auch die Klauen müssen regelmäßig gestutzt werden, um Krankheiten wie Moderhinke oder Klauenfäule vorzubeugen. Zwar ist die Gefahr bei Stefans „Outdoor-Schafen“ eher gering, aber besonders die Rasse der Waldschafe hat einen schnellen Klauenwuchs und bräuchte ständig Felsen unter den Hufen, damit sich diese ordentlich von selbst abtreten. Deshalb hilft der Bauer nach der Schur mit der Schere nach. Eine heikle Aufgabe, darf er dabei doch nicht zu viel wegschneiden und muss darauf achten, dass das Tier eine gleichmäßige Trittfläche hat.
Vergebliche Suche nach dem goldenes Vlies: Wolle als Biodünger
Wie schon erwähnt lässt ein Schaf bei der Schur bis zu vier Kilo Wolle. Macht bei Hirschs insgesamt also rund 320 Kilo – aber was passiert damit? Immerhin sollte man meinen, dass Stefan für die Wolle seiner Tiere einen guten Preis bekommt. Das stimmt so leider nicht. Berechnet man das Benzin und die Zeit für die Fahrt zur Wollsammlung ins kilometerweit entfernte Zwettl mit ein, bliebe Stefan bei einem Kilopreis von 6-10 Cent nicht viel übrig.
Dazu kommt, dass er die Wolle bei der Schur nach Farbe und Rasse sortieren und gründlich reinigen müsste. Je nach Rasse des Schafs schwankt der Preis, für die feine Merinowolle gibt es mehr als für die grobe Wolle der Berg- und Waldschafe. Für schwarze Wolle gibt es außerdem noch weniger, denn sie kann nicht eingefärbt werden. Aber der Schafbauer hat ohnehin eine viel bessere Verwendung: er mischt die Wolle in den Hendl- und Schafmist und verwendet das ganze dann als Dünger auf seinem Feld.
Trotz der harten Arbeit holt sich Stefan keine Unterstützung zur alljährlichen Schur. „Scheren tu’ ich am liebsten allein“, sagt er. „Ich merke nämlich, dass die Schafe ganz anders sind, wenn noch jemand dabei ist.“ Und außerdem, verrät er uns zum Abschluss, findet er das Schafescheren eigentlich ganz schön.
Schur-Zeit bei Schafbauer Hirsch im Überblick:
- 1 mal pro Jahr schert Schafbauer Stefan Hirsch seine Tiere
- 80 seiner insgesamt 130 Merino-, Berg- und Waldschafe sind es dieses Jahr, die Lämmchen werden nicht geschoren
- 10 Minuten braucht Stefan Hirsch in etwa pro Schaf
- 20 Schafe schafft er am Tag
- Rund 90 Kilo bringt ein Schaf auf die Waage
- 125 Kilo hat der schwerste Schafbock
- Bis zu 4 Kilo leichter sind die Tiere nach der Schur
- Insgesamt werden also ca. 320 Kilo Wolle anfallen
- 6-10 Cent/Kilo bekäme der Schafbauer je nach Rasse und Farbe bei der Wollsammlung