In Europa gelten 19 Prozent aller Tagfalterarten als gefährdet oder nahe gefährdet, ein Drittel des Artenbestandes hat innerhalb eines Jahrzehntes Rückgänge erlitten. In intensiven, durch die Europäische Umweltagentur koordinierten Erhebungen in 19 Ländern zwischen 1990 und 2011 wurde für acht von 17 Indikatorarten ein signifikanter Rückgang der Populationen verzeichnet, lediglich bei einer Art ein Anstieg. Das besonders dichte Beobachternetz von ehrenamtlichen Mitarbeitern in Großbritannien kommt zu ähnlichen Ergebnissen. So haben zehntausende freiwillige Beobachter mit beinahe drei Millionen Verbreitungsdaten zu Tagfaltern innerhalb von nur fünf Jahren denselben negativen Trend festgestellt.
Demnach wurde bei 70 Prozent der Arten ein Rückgang der Fundstellen festgestellt, bei 57 Prozent eine Abnahme der Populationen. Ein umfassendes Forschungsprogramm an Nachtfaltern kommt zu
ähnlich dramatischen Ergebnissen.
Der belegte Rückgang der Häufigkeit über 40 Jahre im Ausmaß von 28 Prozent ist vor allem bei häufigen Arten besonders signifikant. In diesem Artensegment haben zwei Drittel Bestandseinbußen erlitten.
Und in Österreich? Die Herausforderung in der Beurteilung der Gefährdung ist vor allem der Mangel an systematisch erfassten und zentral verwalteten Beobachtungsdaten. Einen größeren Artenbestand flächendeckend zu erheben bzw. zu kontrollieren, setzt ein dichtes und landesweit koordiniertes Beobachternetz voraus, entweder basierend auf Ehrenamtlichen wie in Deutschland oder hoch professional und aufwändig wie in der Schweiz. Diese Basis fehlte in Österreich, auch wenn bereits verschiedene Citizen Science Programme mit Bezug zu Schmetterlingen initiiert wurden, darunter Aktionen des
Naturschutzbundes zur Tagfalterzählung im Rahmen der Aktion Abenteuer Faltertage und die zentrale Datenverwaltung in der Plattform naturbeobachtung.at.
Blühendes Österreich hat diese Lücke mit dem Citizen Science Projekt "Schmetterlinge Österreichs" gefüllt und unterstützt mehrere Monitoring Projekte wie "Vielfalter Tirol" und "Vielfalter Vorarlberg" finanziell .
Zwei aktuelle Rote Listen zu Tagfaltern bzw. verschiedenen Nachtfalterfamilien belegen jedoch in ähnlich erschreckendem Ausmaß wie in anderen Ländern den in den letzten Jahrzehnten bedenklichen
Rückgang unterschiedlicher Schmetterlingsgruppen. Die Datengrundlagen dieser nationalen Roten
Listen basieren meistens auf Parametern der Lebensraumentwicklung und teilweise, bei Tagfaltern
immerhin bei drei Vierteln der Arten, auf Bestandsdaten. Demnach werden 51,6 Prozent aller Tagfalter Österreichs aktuell als gefährdet eingestuft, gleich fünf Arten als ausgestorben. Die Ursachen für diese besorgniserregende Entwicklung sind die massiven Änderungen in der Grünlandbewirtschaftung in Verbindung mit den oft sehr spezifischen Ansprüchen einzelner Arten an Habitatstruktur und Raupenfutterpflanzen.
Nicht viel besser sieht es mit dem Bestand zahlreicher Nachtfalterarten aus. Hier gelten von den bislang etwa 800 bundesweit bewerteten Arten 40,3 Prozent als gefährdet, davon sind 35 Arten ausgestorben bzw. verschollen.
Für etwa drei Viertel der Schmetterlingsarten existieren zwar bisher überhaupt keine oder keine aktualisierten nationalen Roten Listen, der Trend dürfte aber auch für diese Faltergruppen in eine ähnlich negative Richtung gehen. Ähnlich dramatisch ist die Gefährdungssituation auch auf Länderebene.
Die bislang einzige den gesamten Artenbestand berücksichtigende und auf objektivierbaren Kriterien des Umweltbundesamtes basierende Rote Liste behandelt das westlichste Bundesland Vorarlberg. Auch hier gelten etwa 38 Prozent von ca. 2.300 Arten als mehr oder weniger gefährdet. Mangels aktualisierter Roter Listen sind in den anderen Bundesländern für die Mehrzahl der Schmetterlinge Aussagen zur Gefährdung nicht belegbar. So existiert beispielsweise für Tirol nur ein völlig veraltetes und überarbeitungsbedürftiges Verzeichnis, das darüber hinaus nur etwa 40 Prozent des Artenbestandes berücksichtigt. Ähnlich rudimentär ist der Bearbeitungsstand in anderen Bundesländern, mit nur wenigen rezent überarbeiteten Ausnahmen, darunter Rote Listen der Tagfalter Niederösterreichs und Wiens. Soweit vorhanden, belegen die Ergebnisse
immer ein hohes Gefährdungsausmaß, mit beispielsweise 53,3 Prozent gefährdeten Arten in Wien.
Auf lokaler Ebene existieren zwar überhaupt keine Roten Listen, negative Auswirkungen von Eingriffen sind aber gerade im kleinräumigen Bereich besonders relevant und finden viel häufiger statt als Großprojekte.
Sie können unmittelbar oder langfristig zu einem signifikanten Rückgang bzw. sogar zu einem vollständigen Verlust lokaler Populationen führen. So konnte ein Rückgang der Tagfalter im Raum Regensburg von 117 Arten im Jahre 1840 auf aktuell nur noch 71 Arten nachgewiesen werden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine lokale Studie für das Gemeindegebiet von Innsbruck. Obwohl taxonomisch viel breiter gefasst und sämtliche Schmetterlingsarten berücksichtigend, wurden von insgesamt 2.000 jemals gemeldeten Arten aktuell nur noch 1.200 Arten nachgewiesen, was einem Rückgang von etwa 40 Prozent entspricht. Der Artenschwund in Österreich ist somit national bis regional kritisch, der Falterschwund sogar noch mehr.
Eine vollständige Modernisierung aller landwirtschaftlichen Betriebe führt nach Untersuchungen in England zum Aussterben von 95 Prozent aller Tagfalter. Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Anzahl der Tagfalter im Schweizer Mittelland innerhalb von 100 Jahren gar auf nur mehr ein Prozent des ehemaligen Bestandes verringert hat! Ähnlich dramatische Rückgänge sind nach vielfältigen historischen Aufzeichnungen auch für intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen in Österreich anzunehmen,
auch wenn statistische Beweise fehlen.
Dieser Beitrag stammt aus der Publikation "Ausgeflattert I - der stille Tod der österreichischen Schmetterlinge". Die Broschüre ist kostenlos als pdf verfügbar.
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