Der Eingang ist – naja, harmlos – ein Gebirgsbach mit großen Steinen, die für Wirbel und Strudel sorgen, weiße Schotterflächen, eingerahmt von einem artenreichen Schluchtwald, dessen Äste bis ins Wasser reichen. Noch deutet nichts darauf hin, was einen auf dem weiteren Weg erwartet.Über einen schmalen Pfad folgt man dem Wasser bachaufwärts, bis sich die Szenerie abrupt ändert: Der Wald weicht zurück und macht glatt geschliffenen Felswänden Platz. Von oben tropft Wasser auf die BesucherInnen, Stege und Treppen führen immer weiter in eine atemberaubende Schlucht. Tief unten rauscht das Wasser mit unglaublicher Kraft, dreht sich in den ausgeschliffenen Gumpen, stürzt über Kaskaden, türkisfarben, weiß und dann wieder dunkelgrün. Nun rücken die Wände so nahe aneinander, dass sich kaum noch ein Strahl Sonne ins Innere der Schlucht verirrt, die sich hier zur echten „Klamm“ mausert. Es ist kühl, die Luft riecht nach Moos, nasser Erde und Stein. Der Blick in die Tiefe fasziniert und beängstigt zugleich angesichts dieser Naturgewalt.
Am Anfang war der Fels
Ob Schlucht, Klamm, Tobel, Canyon oder Klause… wie auch immer diese engen, tiefen Bachtäler genannt werden, ihnen allen ist Eines gemeinsam: Für ihre Entstehung braucht es ein hartes Festgestein, in das sich fließendes Gewässer im Laufe der Jahrtausende eingeschnitten hat. In den Kalkalpen besteht das vorherrschende Gestein außerdem aus
Karbonatgestein, das durch kohlensäurereiches Wasser zusätzlich chemisch verwittert wird. Durch den an sich aber sehr harten Fels kommt es kaum zu einem Hangabtrag, wodurch die typische Form von Schluchten entsteht. Bei Klammen sind die Felswände zum Teil überhängend, sprich oben enger als unten.
Auch heute noch arbeitet das Wasser beständig und nagt am Fels, vor allem dann, wenn die Schneeschmelze oder sommerliche Starkniederschläge im engen Schluchtquerschnitt die Fluten ansteigen lassen und die Durchflussgeschwindigkeit sich massiv erhöht. In diesem Fall ist es ratsam, sich nicht in der Schlucht aufzuhalten – Sprichwort Canyoning.
Wildnis im Hochformat
An eine wirtschaftliche Nutzung – mit Ausnahme der touristischen – ist bei Klammen und Schluchten nicht zu denken. Viel zu unwegsam ist schon der Schluchtwald im oberen Bereich oder am Anfang und am Ende der Schlucht, viel zu steil die Felswände. Bäume, vor allem Buchen, Eschen und Bergahorn, wagen sich tapfer bis an die Hangkante. Auch knorrige, an Trockenheit angepasste, Föhren trifft man hier am oberen Rand des Abgrunds je nach Region und Gesteinsart. In der Felswand selbst wachsen Sträucher und Blumen in kleinen Nischen und Vorsprüngen, in denen sich ein wenig Humus sammelt. Auch Polsterpflanzen trifft man hier, die an die oft schnell wechselnden Bedingungen mit kurzfristig sehr hoher Strahlung und Temperatur durch die Schaffung ihres eigenen Mikroklimas angepasst sind. Je weiter es nach unten geht, desto karger wird die Vegetation. Algen, Moose und Farne, wie etwa der seltene Hirschzungenfarn, kommen mit wenig Licht aus und lieben das spezielle feuchte Klima der Schlucht. Flechten können die Felsoberfläche durch Säuren ein wenig aufweichen und sich selbst im Überhang Halt verschaffen.
Die Wasseramsel – ein Spezialist für schwieriges Terrain
Am Eingang oder auch am Ausgang einer Klamm, dort wo noch ein wenig Schluchtcharakter herrscht, die Böschung aber durchaus schon bewachsen ist, dort lebt die Wasseramsel. Sie ist auf sehr sauberes, sauerstoffreiches Wasser, das über Kies strömt und kaum über 10 °C aufweist, angewiesen. Sie liebt große Steine im Wasser, die sie als Sitzplatz verwendet, bevor sie wieder abtaucht und nach Insektenlarven, aber auch Würmern, Flohkrebsen und zum Teil sogar kleinen Fischen und Fischlaich sucht. Grob kann man sagen, sie fühlt sich dort wohl, wo auch Forellen vorkommen und das vom Tiefland bis in Höhen von über 4.000 m. Sie bleibt sogar im Winter bei uns, vorausgesetzt, ihr Bach friert nicht zur Gänze zu.
Die Wasseramsel brütet in Höhlen in den Felswänden direkt am Wasser. Hochwasser zur Brutzeit, das bis in ihre Höhle reicht, endet für die Brut meist fatal. Aber auch der Störfaktor Mensch macht ihr zu schaffen. Vor allem dann, wenn er nicht auf Stegen und Wegen bleibt, sondern sich auf dem Wasserweg nähert: Canyoning-, Rafting- und Kanutouren bringen nicht selten ein Zuviel an Menschen in ihren Lebensraum. Dadurch wird sie ständig bei der Jagd gestört und kann sich selbst und ihren Nachwuchs nicht versorgen.
IN VIELEN GEBIETEN GELTEN DAHER VOR ALLEM IM FRÜHLING SCHONZEITEN, DIE MIT BETRETUNGSGEBOTEN ODER -VERBOTEN ZUM SCHUTZ DER WASSERAMSEL UND ANDEREN BRUTVÖGELN VERBUNDEN SIND.
Viele Schluchten und Klammen haben sich am Anfang von Seitentälern gebildet, dort wo diese durch ein starkes Gefälle ins Haupttal münden. Damit waren die Täler lange Zeit völlig unzugänglich, niemand fand einen Weg über die Felswände und schon gar nicht durch die Schlucht. Kein Wunder also, dass viele Täler über Passübergänge – quasi von der anderen Seite her – besiedelt wurden. Nur nach und nach wurden mühsam Straßen in den Felsen weit oberhalb der Schlucht geschlagen, gerade breit genug, um einem Pferdefuhrwerk Platz zu bieten. An Zollhäuschen musste gehalten werden, wer immer passieren wollte, hatte den Wegzoll zu entrichten.
Die Schluchten selbst wurden gemieden, zu gefährlich war das reißende Wasser. Außerdem, wer wusste schon, wer in solch engen, dunklen Klammen hauste. Gewiss waren es Ungeheuer, Drachen und Schlangen von außergewöhnlicher Größe, oder Kobolde und Geister, die ihr Unwesen trieben.
Noch heute erzählen zahlreiche Sagen von ungewöhnlichen Vorkommnissen und unerklärbaren Phänomenen. Und dennoch war der Entdeckergeist immer schon größer als die Angst und heute sind viele der schönsten Klammen in Österreich erschlossen. Über Stege, Brücken und Stufen durchwandert man diese, kommt einmal dem Wasser ganz nahe und genießt dann wieder faszinierende Tiefblicke. Das feuchte, kühle Klima ist vor allem an heißen Sommertagen besonders wohltuend, die Kraft des Wassers versprüht im wahrsten Sinne des Wortes Energie. Trotz Erschließung bleiben die Klammen und Schluchten auch heute noch mystische Kraftplätze und ein Stück Wildnis in unserer sonst so gezähmten Welt.
Jetzt aktiv werden:
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Jeden Montag ab 9:15 vom 20. Mai bis 21. Oktober 2019
Treffpunkt: Parkplatz Länd, Scharnitz (vom Bhf. Scharnitz in 5 Minuten erreichbar)
Reine Gehzeit: 2-2,5 Std.
Höhenmeter/Länge: 135 Hm; 4,5 km
Kosten: für Gäste der Olympiaregion Seefeld kostenlos