Seit 1985 wird der Hof Oberlitzl von Familie Rabl biologisch bewirtschaftet. Der Bauerngarten und die Streuobstwiese mit alten Obstsorten dienen der Selbstversorgung. Ein Maggikraut und ein Majoran haben einmal eingepflanzt den Winter überdauert. Nach und nach kamen weitere Kräuter, Gemüse und Blumen dazu. Beim „Zammensitzen und Reden“ wurde mit Freundinnen und Freunden geschaut, verkostet, bewundert und Pflanzen wurden getauscht oder verschenkt. „Bald war der Garten zu klein und ich hab rundherum erweitert“, erzählt Anni von der behutsamen Entstehung eines liebevoll gepflegten Bauerngartens. Der Garten verändert sich ständig – nicht nur wegen des Klimas, sondern vor allem mit dem Bedarf der Generationen. „Als die Geschäfte während der Pandemie geschlossen waren, ist uns nichts abgegangen. Was wir brauchten, hatten wir im Garten. Das war beruhigend“, erzählt Anni Rabl.
Leidenschaft für regionale Sorten
„Die Saatgutgewinnung ist eine Tätigkeit, die Freude, Befriedigung und Unabhängigkeit verschafft.“ Dieser Leitsatz der Initiative URKORN.TIROL hat Anni nachhaltig geprägt. Angesteckt mit der Leidenschaft für die Besonderheit regionaler Sorten mit unerreichtem Geschmack begann Anni, sich mit den Methoden der Saatgutgewinnung, Lagerung und Pflanzung alter Gemüsesorten vertraut zu machen. „Mit einem Samenhandbuch des Vereins Arche Noah habe ich mir die Grundlagen beigebracht und mit der Zeit durch Ausprobieren dazugelernt“, so Anni Rabl. Alte Kultursorten sind ein wertvolles kulturelles Erbe. Etwa 75% der landwirtschaftlich genutzten Vielfalt ging laut der Welternährungsorganisation in den letzten 100 Jahren verloren. Besonders stark betroffen von diesem Rückgang ist der Gemüsebau. Einst hatte jede Region „ihre“ Sorten. Für die Samenernte wählten die Bäuerinnen und Bauern dabei immer die am besten entwickelten Pflanzen. Durch diese gezielte Selektion bildeten sich mit der Zeit neue Sorten, die besonders gut an die Bedingungen vor Ort angepasst waren.

Geschmacklich unübertreffbar: die kleine regionale Hoasboa
„Bei mir wächst der Radi mit der Kamille zusammen. Die Kamille wird zu Tee verarbeitet, die Rüben werden gegessen, bis auf ein paar ansehnliche Exemplare. Die lagere ich mit dem Blattgrün über den Winter im Kartoffelkeller“, erzählt Anni. Im Frühjahr wird dann die ganze Rübe samt Blatt wieder eingepflanzt. Erst im zweiten Jahr entstehen Blüten, deren Samen Anni einstreift und trocken in Papierkuverts über den Winter lagert. Verschiedene Sorten von Stangenbohnen und Erbsen reifen in bunte Samen aus. „Ich habe Feuerbohnen, Monstranzbohnen mit außergewöhnlicher Zeichnung, Käferbohnen, Kidneybohnen, Sau-, Puff- oder Hoasboa“, listet Anni auf. Die regionale Hoasboa punktet mit Geschmack und der Samen bleibt über mehrere Jahre keimfähig.
Schlafmützchen und Winterheckenzwiebel
Damit sich die Sorten untereinander nicht kreuzen, sorgen Blumen, Zwiebeln und Rüben für Abstand. Dabei achtet Anni auf ungefüllte Blüten, weil diese für Insekten besser zugänglich sind. Das Ergebnis ist Programm. Schmetterlinge, Käfer, Bienen – „da is’ so viel los“. Wer das weiß, sieht in dem bunten Farbenmeer die Kunst und das Wissen, wer mit wem kann, wer wem guttut und wer sich nicht riechen kann – unter den Pflanzen. „Meine Lieblingspflanze im Garten ist die Winterheckenzwiebel. Sie kommt gleich im Frühjahr und dazwischen blühen die Schlafmützchen, ein gelbblühender Mohn, das gibt ein wunderschönes Bild für Auge und Seele.“ Ringelblumen, Vogerlsalat und Schlangenrettich gehen jedes Jahr von selbst auf. Da erspart man sich viel Aufwand. „Und wenn man setzt, dann nicht zu früh!“, warnt Anni und hat eine bewährte Redensart zur Hand: „Setzt mi im April und i komm, wann i will, setz mi im Mai und i kimm glei.“ Auch Beikräuter wie Löwenzahn, Vogelmiere und Gundelrebe sind hier kein Unkraut, sondern dürfen sich in den Lücken kontrolliert ausbreiten. Sie erfüllen ein wichtiges Nahrungsangebot oder als Verdunstungsschutz ihren Zweck und können zu einem schmackhaften Salat verarbeitet werden. Für die Zukunft wünscht Anni sich mehr Wertschätzung für Vielfalt im Garten. Denn wer diese alten Sorten immer wieder neu aussät, erhält nicht nur diese Vielfalt, sondern trägt auch dazu bei, dass sich die Sorten immer weiterentwickeln und weiter an die Veränderung der Umwelt anpassen.