In unserer aufgeräumten Landschaft sind sie selten geworden: wilde Flächen, auf denen Gräser hoch wachsen und Wildblumen blühen. Dabei spielen genau diese unauffälligen Rückzugsorte eine entscheidende Rolle für viele Insekten und Kleintiere. Zwischen hohen Halmen finden Heuschrecken Schutz, Käfer bewegen sich langsam durch das dichte Grün und zahlreiche Schmetterlingsarten legen ihre Eier an bestimmten Pflanzen ab. In Privatgärten werden Wiesen oft bis zur Nachbargrenze sauber gemäht, entlang von Zäunen bleiben kaum noch unberührte Streifen stehen. In der Landwirtschaft wird großflächig gemäht – oft binnen weniger Stunden in einer ganzen Region. Für viele Tiere bedeutet das, dass ihr gesamter Lebensraum auf einen Schlag verschwindet.
Zwischen hohen Gräsern verstecken
Dabei wäre es einfach: Viele Insekten brauchen keine großen ungemähten Bereiche. Entscheidend ist, dass immer wieder kleine oder größere wilde Inseln bestehen bleiben, in die sie sich zurückziehen können. Für viele Insekten und Kleintiere ist zum Beispiel Deckung ein wichtiger Schutz vor Fressfeinden und Witterungseinflüssen. Wenn Gefahr droht, ist es eine Frage der Zeit, den nächstgelegenen Deckungsplatz zu finden. Zwischen hohen Gräsern und dichten Pflanzenstängeln können sie sich verstecken, während sie auf kahlen, gemähten Flächen für ihre Fressfeinde leicht sichtbar sind. Ohne Deckung sind sie leichte Beute für Vögel. Heuschrecken etwa nutzen Halme auf ungemähten Wiesen nicht nur als Sitzplatz, sondern auch als Möglichkeit zur Flucht. Heuschrecken verstecken sich zum Schutz vor Feinden stets hinter Grashalmen und wandern geschickt um den Halm, sodass sie vor potenziellen Fressfeinden verborgen bleiben. Droht größere Gefahr, lassen sie sich einfach mit einem „Schreckabsprung“ fallen und verschwinden zwischen den Halmen aus dem Sichtfeld der Fressfeinde. In einer hoch gewachsenen Wiese sind sie so fast unsichtbar. Doch nicht alle Insekten können sich mit einem Sprung oder schnellen Flügelschlägen retten.
Das besondere Klima ungemähter Wiesen
Käfer zählen eher nicht zu den Flugmeistern und bewegen sich gelegentlich nur langsam durch die Vegetation. Sie setzen auf Tarnung und eine harte Panzerung, um sich zu schützen. Wenn eine Fläche jedoch kurz gemäht wird, bleiben sie nicht nur ungeschützt als leichte Beute zurück, sondern geraten in der Sonne unter Hitzestress. In hohen Gräsern bleibt die Luftfeuchtigkeit länger erhalten, die Temperaturschwankungen sind weniger extrem und der Boden trocknet nicht so schnell aus. Gerade an heißen Sommertagen profitieren zahlreiche Insekten, aber auch Reptilien und Kleinsäuger von diesem besonderen Mikroklima.

Essenzielle Kinderstuben
Nicht alle Insekten sind weite Wanderer. Viele haben nur einen sehr begrenzten Bewegungsradius. Wildbienenarten wie die Rote Mauerbiene oder die Gehörnte Mauerbiene fliegen oft nur wenige Hundert Meter weit. Sie benötigen blühende Pflanzen und ungestörte Nistplätze in unmittelbarer Nähe. Besonders wichtig sind für sie hohle Pflanzenstängel von Wilder Karde, Beifuß, Disteln oder Flockenblumen sowie alte Holzstrukturen, in denen sie ihre Eier im Frühjahr ablegen. Die Larven schlüpfen im Sommer, verpuppen sich und überwintern im Stängel, bis sie im nächsten Frühjahr als erwachsene Bienen schlüpfen. Damit diese Wildbienenarten überleben können, müssen solche Strukturen über einen längeren Zeitraum erhalten bleiben. Wenn Pflanzenstängel im Herbst oder zeitig im Frühjahr entfernt werden, gehen nicht nur Nistplätze verloren, sondern auch bereits belegte Nester werden zerstört.
Kleine Flächen, große Dynamik
Einige Insektenarten können innerhalb kürzester Zeit stabile Populationen aufbauen und gemähte Bereiche rasch wieder beleben. Das funktioniert aber nur, wenn in der unmittelbaren Umgebung ungemähte Bereiche stehen gelassen wurden, in denen genügend Tiere überlebt haben. Diverse Heuschreckenarten, Ameisen, Gallwespen und auch Blattläuse vermehren sich durch Jungfernzeugung. Dabei handelt es sich um eine besondere Fortpflanzungsform, bei der Weibchen ohne Befruchtung durch Männchen Nachkommen produzieren können. Diese Strategie ermöglicht es manchen Insekten, ihre Population schnell zu vergrößern, insbesondere wenn die Umweltbedingungen schwierig sind. Oft reicht es also, einfach weniger zu tun. Wer in Privatgärten, auf öffentlichen oder landwirtschaftlichen Flächen kleine Rückzugsorte erhält, schafft wertvolle Lebensräume für Insekten, Reptilien und Kleinsäuger. Statt alles aufgeräumt und ordentlich zu halten, ist es ein großer Gewinn für die Artenvielfalt, den eigenen Ordnungssinn ein wenig zu zähmen. Was für uns Menschen nach Vernachlässigung aussieht, ist für viele Tiere ein unverzichtbarer Lebensraum.
