2019 lieferte der Weltbiodiversitätsrat mit seinem ersten Bericht zum Zustand der Biodiversität eine alarmierende Öko-Inventur der Erde. Die Zahl der Arten, die für immer von dieser Erde verschwinden, stieg mit erschreckender Geschwindigkeit und der Weltklimarat prognostizierte, dass in den nächsten Jahrzehnten eine Million Arten aussterben würde. Die Ursachen dieser erschreckenden Aussichten sind die intensive Nutzung von Landflächen, die direkte Nutzung von Pflanzen und Tieren, der Klimawandel, die Verschmutzung der Umwelt und die Ausbreitung invasiver Arten, also von Arten, die eingeschleppt wurden und nun einheimische Pflanzen und Tiere verdrängen. Dieser Raubbau an der Natur hat gewaltige Konsequenzen für die menschliche Existenz. Denn von der biologischen Vielfalt hängen zentral auch die vielen materiellen und immateriellen Güter und Leistungen, welche der Mensch von der Natur erhält, ab. Sie sind die Grundlage für das menschliche Überleben und Wohlbefinden und werden von der Wissenschaft Ökosystemleistungen genannt.
So bestäuben z. B. Insekten unsere Nutzpflanzen, Bodenlebewesen sorgen für fruchtbare Böden, Pflanzen holen Kohlendioxid aus der Atmosphäre und erzeugen Sauerstoff. Wälder speichern Kohlenstoff, regulieren das Klima und schützen vor Lawinen und Hochwasser. Die Natur liefert uns die Basis für Arzneimittel und in einer schönen Landschaft mit bunten Wiesen, sprudelnden Bächen und sauberen Seen erholen wir uns. Vieles davon nehmen wir kostenlos in Anspruch und denken gar nicht daran, wie wertvoll es ist. Schätzungen zum weltweiten Wert von Ökosystemleistungen liegen zwischen 125 und 145 Billionen US-Dollar pro Jahr (Costanza et al. 2014), eine unglaublich hohe Summe, wenn man bedenkt, dass das weltweite Bruttoinlandprodukt 2018 bei 84 Billionen US- Dollar lag. Mit seinem Bericht 2019 zeigte der Weltbiodiversitätsrat aber auch auf, dass dieses Sicherheitsnetz für unser Überleben stark belastet ist, weil 14 von den 18 wichtigen Ökosystemleistungskategorien stark abnahmen. Costanza und Mitautoren schätzen bereits 2014 den Verlust von Ökosystemleistungen weltweit auf 20 Billionen US-Dollar pro Jahr.
Mehr als 10 Jahre später zeigt sich ein deutlich positiveres Bild. Aufgerüttelt durch diesen Bericht entwickelte sich analog zur „Friday for Future“ Ulrike Tappeiner, Institut für Ökologie, Universität Innsbruck Bewegung eine starke Graswurzelbewegung breit über die ganze Gesellschaft, die einen Wandel zur Nachhaltigkeit einforderte und der es vor allem auch gelang, neue soziale Normen für Nachhaltigkeit zu schaffen. Darauf aufbauend wurden Visionen für eine gute Lebensqualität entwickelt, die den ständig steigenden Materialverbrauch eindämmen. Ein flächendeckendes Monitoring der Biodiversität für wichtige Artengruppen wie Amphibien, Vögel, Tagfalter, Fledermäuse, verschiedene Insektengruppen sowie Pflanzen wurde eingeführt und mit genügenden Mitteln ausgestattet. Damit haben wir nun auch in Österreich endlich Daten, um unsere eigene Biodiversität „messen“ zu können. Die Ökologisierung der Landwirtschaft wurde zu einem ganz starken gesellschaftspolitischen Thema, und die große Nachfrage nach biologischen, lokalen und nachhaltig produzierten Nahrungsmitteln durch Einheimische und Touristen ermöglichte eine deutlich weniger intensive Bewirtschaftung (vgl. Schermer, in diesem Band).
Die österreichische Politik und Gesellschaft arbeiteten intensiver an der Umsetzung der international vereinbarten Biodiversitätsziele (Aichi Ziele bis 2020) und nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) bis 2030.

Man begann sich auf alte Konzepte der Landnutzung, wie sie heute auch noch bei indigenen Völkern bekannt sind, zurückzubesinnen. Im Vordergrund stand nun eine biodiversitätsfördernde Landschaft, in der gleichzeitig eine marktwirtschaftlich lebensfähige landwirtschaftliche Produktion möglich war. Begonnen hat das Ganze mit einfachen Blühstreifen, die in intensiven Acker- und Dauerkulturen gesetzt wurden. Schnell zeigte sich aber, unterstützt durch das Biodiversitätsmonitoring, dass es notwendig war, die monotonen großflächigen Intensivlandwirtschaftsflächen stark aufzubrechen und zu diversifizieren, sodass beispielsweise eine kleinere Beerenobstfläche eingebettet ist in einer Obstbaumanlage, Hecken, verschiedenen Gemüseflächen, einem naturnahen Teich mit Enten und andere naturnahe Flächen. Diese vielfältige Landschaft bietet nicht nur Wildtieren und Wildpflanzen, darunter auch zahlreichen gefährdeten Arten, viel bessere Lebensräume und Korridore, um von einem Lebensraum in einen anderen zu gelangen (Rüdisser et al 2015). Plötzlich hatten die Landwirt*innen einen viel geringeren Schädlingsbefall, weil Nützlinge in den naturnahen Flächen ideale Lebensbedingungen fanden (vgl. Kremen & Merenlender 2018).
Aber auch für den Menschen wurde die Landschaft plötzlich schöner, weil viele eine angeborene Vorliebe für Vielfalt haben. Wissenschaftler vermuten, dass der Mensch intuitiv weiß, dass Vielfalt für sein Überleben wichtig ist, nicht zuletzt weil vielfältige Lebensräume viel multifunktionaler sind und viel mehr Ökosystemleistungen liefern als monotone Landschaften. Durch die Umstellung auf biodiversitätsbasierte Bewirtschaftungsmethoden wurde die Landschaft vielfältiger und damit ein attraktiverer Lebens- und Erholungsraum für Bevölkerung und Touristen.
Für biodiversitätsbasierte Anbaumethoden war es auch notwendig, Bildung, Wissensgenerierung und Erhaltung verschiedener Wissenssysteme zu fördern, auch mit Unterstützung von vielen Wissenschaftler*innen. Voll Stolz kann aber jetzt auf ein großes lokales Wissen über Natur, Erhaltung und ihre nachhaltige Nutzung aufgebaut werden, wie in der Studie des Weltbiodiversitätsrates vorgeschlagen (Diaz et al. 2019).
Die rasche Transformation in der Landwirtschaft wurde stark unterstützt durch die Digitalisierung Schermer M. (2019) Die Veränderung kam von unten… (in diesem Band). der Gesellschaft und den damit einhergehenden neuen technischen Möglichkeiten, die nun auch weitverbreitet Smart Farming möglich machen. Satelliten- und Drohnenbilder unterstützen heute eine rasche Erfassung von Bodenqualitäten, überprüfen den Feuchtigkeitsgehalt der Erde und erlauben eine punktgenaue, zum richtigen Zeitpunkt und mit der angemessenen Menge Bewässerung. Sie bieten aber auch die Möglichkeit, Rehkitze in Wiesen vor der Mahd rasch aufzuspüren. Viele low-cost Sensoren auf den Flächen übermitteln den Landwirt*innen laufend Informationen durch entsprechende Apps auf ihrem Smartphone über Schädlingspopulationen, Infektionsrisiken, aktuellen Befall und Behandlungsempfehlungen, sodass sie rasch reagieren können. GPSgesteuerte Landmaschinen und Traktoren minimieren Bodenverdichtungen und steigern die Effizienz, solarbetriebene Jätroboter orientieren sich durch Kamera, GPS und Sensoren, erkennen wo Unkraut ist und bewegen sich selbstständig. Damit werden nicht nur Emissionen und Kosten gesenkt, der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel auf eine Bruchteil reduziert, sondern auch die Qualität der Produkte gesteigert und die Arbeitsbelastung verringert (Föry 2017).
Die Autorin Ulrike Tappeiner vom Institut für Ökologie an der Universität Innsbruck
Literatur:
Costanza R., de Groot R., Sutton P., van der Ploeg S, Anderson S.J., Kubiszewski I., Farbere S., Turner R.K. (2014) Changes in the global value of ecosystem services. Global Environmental Change 26, 152-158, DOI: 10.1016/j.gloenvcha.2014.04.002
Díaz S., Settele J., Brondízio E. et al. (2019) Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, [WWW document] URL https://www.ipbes.net/news/ipbes-global-assessment-summary-policymakers-pdf [accessed 10. 5. 2019]
Föry D. (2017) Der Bauer 4.0 . Neue Züricher Zeitung, , [WWW document] URL https://www.nzz.ch/schweiz/schweiz-2050-der-bauer-40-ld.1301229 [accessed 10. 5. 2019]
Kremen C., Merenlender A.M. (2019) Landscape that work for biodiversity and people. Science 362, 304 (6412), DOI: 10.1126/science.aau6020
Rüdisser J., Walde J., Tasser E., Frühauf J., Teufelbauer N., Tappeiner U. (2015) Biodiversity in cultural landscapes: influence of land use intensity on bird assemblages. Landscape Ecology, 30(10), 1851-1863, DOI 10.1007/s10980-015-0215-3