Jedes Jahr im späten August treffen sich Interessierte zur Vogelbeobachtung im Kärntner Gailtal für ein besonderes Phänomen: den Zug der Greifvögel in den Süden
Zwei Tage lang hatte es geregnet. Nur einmal, für etwa zwei Stunden, gab es ein Fenster, in dem ein paar Sichtungen möglich waren. Ansonsten: schlichtes Abwarten – bei Mensch und Tier. Blicke ich heute, einen Tag später, mit vorgehaltener Hand hinauf zum Himmel, kann ich mir das kaum vorstellen: blauer, wolkenloser Himmel und – zumindest im ornithologischen Verständnis – ein Treiben wie in der U6 zur Stoßzeit.
Wir sind hier beim Greifvogelcamp in der Nähe von Arnoldstein im Kärntner Gailtal, um ein alljährliches Phänomen zu beobachten: den Zug der Greifvögel von ihren Brutgebieten in Mittel- bis Nordosteuropa zu ihren Winterquartieren südlich der Sahara. Wir, das sind heute sechs Männer und ich. Zwei davon im Auftrag der Kärntner Fraktion von BirdLife Österreich, der Rest im Auftrag ihrer liebsten Freizeitbetätigung – der Vogelbeobachtung. Camp ist dabei ein bisschen irreführend. Zwar sitzen die Teilnehmer auch auf Klappstühlen, aber Zelte haben sie dann doch keine aufgestellt – geschlafen wird woanders.
Trotz unterschiedlicher Beweggründe, finde ich die Männer alle in der gleichen Körperhaltung auf: mit Fernglas oder Spektiv Richtung Himmel blickend, so intensiv, dass ich kaum Möglichkeit habe, ihnen in die Augen zu sehen. Anvisiert haben sie die vielen Wespenbussarde, die mit 93 Prozent am häufigsten vorkommende Art während des Camps. Manchmal fliegt aber auch ein Mäusebussard oder Schwarzmilan vor ihre Linse.
Von Polen bis Ghana
“Wahnsinn, da fliegt schon wieder ein Trupp!” – das ist einer der ersten Sätze, den ich bei meiner Ankunft am späten Vormittag vernehme. Ich richte mein Laien-Fernglas auf den dunklen Wald, den die Profis anvisieren und von denen sich die Vögel zumindest in ihren Augen abzuheben scheinen. Sie reden von einem Trupp von 50 Wespenbussarden. Ich sehe Null. Doch so schnell gebe ich nicht auf.
Wespenbussarde fliegen oft im Trupp, jedoch geschehe das meistens eher zufällig, wie die Vogelexperten wissen. Es ist also gar nicht so selten, dass man – so wie gerade eben – eine große Gruppe am Himmel antrifft. Besonders nicht hier, im Gebiet des Naturpark Dobratsch. „Hier kommt alles zusammen, wie bei einem Trichter“, sagt Andreas Kleewein, Geschäftsführer von BirdLife Kärnten. Auf einer Karte zeigt er mir die Flugrouten der Vögel: Richtung Süden geht es über Norditalien nach Spanien und via Gibraltar nach Afrika, bis nach Kamerun, Ghana oder Nigeria. Am Rückweg, Anfang des Jahres, fliegen sie über die gesamte Länge Italiens. Nur das offene Meer meiden sie immer, denn da würden die meisten Gefahren lauern und auch das mit der Thermik funktioniere dort nicht so gut. Denn kältere Luft bedeutet mehr Kraftaufwand. Deswegen fliegen die Vögel auch bei Regen nicht so gern.
Die Vögel kommen über Ostkärnten in Richtung Dobratsch und fliegen über der sogenannten Tarviser Pforte zusammen. Ein Gebiet, das für Passivflieger wie den Wespenbussard besonders ideale Bedingungen aufweist. Nachdem das Phänomen erstmals Ende der 90er entdeckt wurde, gibt es seit 2007 systematische Beobachtungen in Form des BirdLife Camps. Seither versammeln sich jedes Jahr bis zu 400 BesucherInnen aus ganz Europa auf der Aussichtsplattform in Arnoldstein – dem besten Punkt für die Beobachtung – oder auf dem Dobratscher Skywalk, der auf über 1.400 Metern liegt.
Auch heute steht ein weiterer Ornithologe am Skywalk bereit. Manche Vögel, die sehr weit oben oder sehr seitlich übers Tal fliegen, können einem vom Haupt-Aussichtspunkt entgehen. Alle paar Minuten hört man deshalb das Handy von David Nayer, dem zuständigen Campleiter, bimmeln. So wird er über die restlichen Vögel informiert und gleicht die Beobachtung mit seiner Liste ab. Dort trägt er fleißig alle Sichtungen, inklusive Art, Flughöhe, Uhrzeit und zusätzlichen Details wie Geschlecht des Tiers ein. Heute sind es gegen Mittag bereits 450 Tiere, gestern wurden am ganzen Tag – der sich quasi nur über zwei regenfreie Stunden erstreckte – nur etwa 300 gesichtet. Zugstau heißt das Phänomen. Der Ablauf ist dabei jedes Jahr ziemlich ähnlich: die Vögel kommen immer in den letzten zwei Augustwochen. Am Anfang weniger, dann immer mehr, bis es zum Höhepunkt kommt und wieder abflaut, und der Zug Anfang September abrupt abbricht. „Heute könnte schon der Höhepunkt sein“, meint Andreas Kleewein.
Gefahren auf der Zugroute
Doch nicht bei allen Vögeln ist das Zugverhalten so konstant wie beim Wespenbussard. Nehmen wir den Kranich. Bei ihm und vielen anderen Vögeln hat sich das Zugverhalten zeitlich und örtlich verschoben: Seit etwa sieben Jahren wird er im November in Kärnten gesichtet, oft zwischen 100 und 1000 Individuen. Davor gab es hier nur Ausnahmesichtungen. Wieso der Wespenbussard davon nicht betroffen ist? Da sind sich Nayer und Kleewein nicht ganz sicher. „Aber wer weiß“, fügt Kleewein an, „vielleicht trifft es den in den nächsten Jahren auch noch.“
Zumindest in einem Aspekt hat es den Greifvogel mit den gelben Augen und dunkler Bänderung auf hellem Gefieder, schon erwischt: obwohl immer noch sehr viele Wespenbussarde gesichtet werden, sind die Zahlen der letzten Jahre rückläufig. Kleewein führt das auf mehrere Gründe zurück. Da sind Zugbarrieren, wie Windparks, die vermehrt ausgebaut werden. Viele Vögel enden in den Rotorblättern, weil sie die drehenden Scheiben im Flug nicht erkennen können. Auch die illegale Verfolgung entlang der gesamten Zugroute dürfe man nicht unterschätzen. Als dritten Grund nennt Kleewein eine geringere Nahrungsverfügbarkeit. Wespenbussarde ernähren sich – wie der Name vermuten lässt – von Wespen, aber auch Eidechsen und anderen kleinen Reptilien. Besonders Wespenlarven stehen auf ihrem Speiseplan. Die vermehrte Abnahme von Insekten hat deswegen auch eine direkte Auswirkung auf die Zahl der Vögel. Die sinkenden Sichtungen der letzten Jahre sieht Kleewein deshalb als keinen Zufall. Genau deswegen sei es aber wichtig, Monitoring Projekte durchzuführen, sagt der Biologe überzeugt.
Monitoring. Das klingt für mich anfangs einfach, vielleicht sogar trivial. Blick zum Himmel, Hand am Bleistift, und dann zählen und aufschreiben. Doch bald wird mir klar, dass ein bisschen mehr dazu gehört als zwei gesunde Augen im Kopf, denn ich sehe auch innerhalb mehrerer Stunden so gut wie nichts. Einmal (vermutlich weil der Trupp direkt über unseren Köpfen fliegt), beobachte ich, wie die Vögel zuerst ein wenig über einem bestimmten Punkt kreisen und dann nacheinander abziehen, um weiter zu reisen. Meistens jedoch starre ich ins Blaue und suche den Himmel nach vermeintlichen, schwarzen Punkten ab. Die Männer reden mir gut zu. Sie würden mittlerweile schon wissen, welche Wege die Vögel gerne nehmen und das Ganze ein wenig systematischer angehen. Und ein bisschen kann ich es auch auf mein schlechteres Fernglas schieben.
Ein Grund zum Pessimismus?
Doch auch wenn man nichts sieht, ist das Vögel-Beobachten alles andere als langweilig.
Selten ist es länger als fünf Minuten ruhig, jedoch sorgen die Sichtungen kaum für übertriebene Aufregung. Stattdessen werden die vorbeiziehenden Vögel schlicht registriert und vermerkt. Fast wie eine Kunst wirkt das Eintragen in die Liste. David Nayer macht das beinah nebenbei, automatisiert, ohne dabei den Überblick zu verlieren – das ist nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass die Vögel jederzeit überall sein können und ihre Ankunft nur selten „anmelden“. Die Begeisterung ist deshalb aber trotzdem da, jedoch äußert sie sich in der Motivation der Teilnehmer. Spricht man mit den heutigen Besuchern stellt sich heraus, dass die meisten von ihnen Wiederholungstäter sind. Manche kommen jeden Tag, manche schon seit Jahren. Eine Art Gemeinschaft ist um den Kärntner Birder-Hotspot entstanden – und das Camp wurde ein Fixtermin im ornithologischen Jahreskreislauf.
Am Ende des Tages frage ich Andreas Kleewein, ob ihn die sinkenden Zahlen der Greifvogelbeobachtung pessimistisch stimmen. Nicht wirklich, viel mehr Sorge bereite ihm die Situation anderer Vogelgruppen, wie den Kulturlandschaftsarten. „Da sind die Greifvögel Gold dagegen“, meint er halb lächelnd, halb besorgt. Der vermehrte Einsatz von Pestiziden, der intensive Flächenverlust durch Bebauung oder Versiegelung, und die sinkende Nahrungsverfügbarkeit - all das spielt zusammen und gefährdet Arten wie Braunkehlchen oder Schwalben. Diese hat es in Kärnten aus einem scheinbar unverwandten Grund besonders getroffen: weil es kaum mehr Kleinhöfe gibt, finden die Schwalben keine offenen Ställe mehr, wo sie ein und aus fliegen. Gleichzeitig bedeutet weniger Vieh auch weniger Insekten, die sich bekanntlich gerne vom Duft von Rind und Co. anlocken lassen.
Die Gewinnerprojekte "Streuwiesen für Wachtelkönig und Goldenen Scheckenfalter" und "ReKultivierung von Iriswiesen für Artenvielfalt und nachhaltige ökologische Landwirtschaft" des Naturschutzpreises "Die Brennnessel" setzen sich dank dem Preisgeld für Bodenbrüter wie dem Braunkehlchen ein.
Gegenmaßnahmen auf lokaler Ebene lassen sich nicht so leicht umsetzen. Bei Greifvögeln hilft es lediglich zu versuchen, dem Bau von Windparks entgegen zu wirken. Beim Zug selbst die konstante Beobachtung, um auch passende Zahlen zu haben – und natürlich die Bewusstseinssteigerung, die BirdLife besonders wichtig ist. Und das scheinbar erfolgreich: bei meiner Abreise ist die Zahl bereits auf 750 geklettert. Eindeutig rekordverdächtig. (Autorin: Katharina Kropshofer)
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