Jeder Naturfreund kennt den Hirschkäfer, diesen Giganten der europäischen Käferwelt. Doch nur die glücklichen unter uns haben ihn tatsächlich schon einmal gesehen! Ein dickes brummendes Ding, das durch einen schwülen Juniabend fliegt. Ein von Hund oder Katze aufgestöbertes Spielzeug, welches verzweifelt um sein Leben kämpft. Oder auch nur ein Kopf, eine Flügeldecke oder Zange. Leblose Reste, die einen am Waldweg staunen lassen.
Warum wir Hirschkäfern so selten begegnen, liegt an ihrer Lebensweise genauso wie an ihrer Seltenheit. Blühendes Österreich verrät dir ein paar Geheimnisse des fliegenden Hirsches und hofft, damit einen kleinen Beitrag zum Schutz des größten heimischen Käfers zu leisten.
1Totes Holz für riesige Larven
Wie alle Käfer und viele andere Insekten durchlaufen Hirschkäfer eine sogenannte vollständige Entwicklung. Ihre aus Eiern geschlüpften Larven gleichen Engerlingen und verbringen bis zu acht Jahre unterirdisch an und in morschen, großen Wurzelstöcken, abgestorbenen Wurzeln und Totholzmulm. Dort ernähren sie sich anfangs von feinem Holzmulm. Später vom feuchten, morschen, verpilzten Holz alter Eichen und vieler anderer großer Laubbäume. Im dritten und letzten Larvenstadium können sie eine enorme Größe erreichen! Bis zu 10 Zentimeter werden die weißlichen Aliens mit dem dunklen Kopf lang, bevor sie sich in einer faustgroßen Bodenkammer verpuppen.
Mit der Puppenphase endet auch die wunderbare Metamorphose des Hirschkäfers. Nun schlüpft die sogenannte Imago, also der fertige und bereits ausgewachsene Käfer. Doch anstatt in die Welt hinauszuziehen, bleibt auch er noch lange im Boden und verbringt einen weiteren Winter in seltsamer Starre. Erst im folgenden Frühsommer zieht es die Hirschkäfer endlich ans Licht. Jetzt brechen sie aus der Erde und denken nur noch an ihre Vermehrung!
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2Von Hirschkühen und Hungermännchen
Der Hirschkäfer, Lucanus cervus, stammt aus der Käferfamilie der Schröter (Lucanidae). Von ihnen gibt es weltweit über 1000 Arten, in Mitteleuropa kommen allerdings nur sieben vor. Unser fertiger Hirschkäfer weist einen besonders starken Sexualdimorphismus auf. Das bedeutet, dass sich Weibchen und Männchen in ihrem Aussehen deutlich voneinander unterscheiden.
Zumindest die Männchen sind aufgrund ihrer zum Geweih geformten Oberkiefer, den Mandibeln, unverwechselbar. Die Hirschkäferdamen tragen kleine Zangen. Besonders kleine Exemplare können eventuell mit dem Balkenschröter, einem nahen Verwandten verwechselt werden, lassen sich aber unter anderem durch die glänzenden Flügeldecken bestimmen.
Abhängig von der Nahrungsversorgung im Larvenstadium erreichen Hirschkäfer sehr unterschiedliche Größen. So kann die Länge ausgewachsener Männchen zwischen fast neun und kaum drei Zentimetern schwanken! Diese Zwerge besitzen meist auch ein besonders kleines Geweih und werden Hungermännchen, manchmal auch Rehkäfer genannt.
Wusstest du, … dass der Hirschkäfer mancherorts auch Feuerschröter oder Köhler genannt wird? In früheren Zeiten sagten besonders abergläubische Menschen dem ungefährlichen Tier nach, Feuer in den Wäldern und sogar Häusern zu legen. Da die innen hohlen Geweihzangen des Hirschkäfermännchens im Licht oder über einem offenen Feuer rötlich strahlen, meinte man offenbar, es würde glühende Kohlen vor sich her tragen!
3Die hohe Zeit ist allzu kurz
Wenn sich die Hirschkäfer im Juni aus der Erde graben, bleiben ihnen nur noch wenige Wochen Lebenszeit! In dieser kurzen Periode müssen sie Partner finden, Konkurrenten ausschalten und schließlich für eine neue Käfergeneration sorgen. Die Weibchen sind vergleichsweise standorttreu. Mit ihren kleinen aber starken Kiefern zapfen sie Baumsäfte an und lecken diese mit der Zunge auf. Männliche Hirschkäfer ernähren sich kaum, fliegen dafür aber umso mehr. An schwülen Abenden steigen sie die Bäume hoch und starten ihre spektakuläre Luftfahrt in die Dämmerung.
Da Hirschkäfer nur einen schwachen Sehsinn besitzen, orientieren sie sich während ihres Fluges vor allem nach dem Geruch und den von den Weibchen ausgesendeten Lockstoffen. Mit etwas Glück landen sie schwerfällig an der Seite einer Hirschkäferdame. Treffen dort mehrere Männchen aufeinander, verwandelt sich der Baumstamm oder Ast rasch in eine Arena. Die Kämpfe können stundenlang dauern und enden erst, wenn der Unterlegene mithilfe der Zangen vom Baum geworfen wird oder aus freien Stücken das Weite sucht.
Der strahlende Sieger macht nun den Platzhirsch! Er darf die vom Weibchen erschlossene Nahrungsquelle nutzen und sich endlich paaren. Wenig später stirbt er auch schon an Erschöpfung. In die ewigen Jagdgründe der Hirschkäfer wird ihm auch die Partnerin nach der erfolgreichen Eiablage folgen.
4Hirschkäfer haben viele Feinde
Die dicken Larven und Puppen des Hirschkäfers fallen häufig wühlenden Wildschweinen zum Opfer. Auch stochernde Grünspechte und Mäuse freuen sich über die proteinreiche Delikatesse! Doch auch für die erwachsenen aktiven Käfer bleibt im Sommer das Leben ein Spießrutenlauf. Krähen, Elstern und Eichelhäher fressen meist nur den Hinterleib und lassen Reste zurück, die uns auf ein diskretes Hirschkäfervorkommen hinweisen. Dachse, Füchse und große Eulen verschlingen das mächtige Insekt hingegen im Ganzen.
Die schlimmste Bedrohung für den Hirschkäfer stellt allerdings die „Säuberung“ seiner Heimatwälder und das Fällen alter Bäume in Gärten und Parks dar. Hirschkäferlarven haben hohe Ansprüche und können sich nur im Totholz alter Baumwurzeln, -stümpfe und -stämme entwickeln. Obendrein muss das modernde Holz durch den Befall spezieller Pilze mürbe sein. Das Belassen absterbender Laubbäume im Wald gibt nicht nur Hirschkäfern, sondern auch unzähligen anderen Tier- und Pflanzenarten eine faire Chance zum Überleben!
Muss im Garten oder Park ein alter Baum aus Sicherheitsgründen umgeschnitten werden, so lässt der Hirschkäferfreund oder die Hirschkäferfreundin einen Baumstumpf bis in eine Höhe von ein bis zwei Metern stehen. So wird über viele Jahre ein wertvoller Lebensraum erhalten, bis der Stamm von selbst vermodert ist.
5Weit verbreitet und doch gefährdet
Der Hirschkäfer besiedelt fast ganz Europa, ist EU-weit durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geschützt und bildet vor allem im Südosten mehrere Unterarten aus. Obwohl er immer wieder - und in manchen Gegenden sogar häufig - auch in Gärten und Parks auftritt, sind ihm lichte, naturnahe Eichenwälder mit Abstand am liebsten. In diesen „Urwäldern“ und wahren Käferparadiesen findet er geeignete Totholzbestände, attraktive Baumriesen und ausreichend Platz zum Fliegen.
Aufgrund der Zerstörung dieser seltenen Lebensräume und der konventionellen Forstwirtschaft, aber auch durch den Verlust von großen Altbaumbeständen in den Gärten und Parks sind die Hirschkäferbestände über viele Jahre leider stark zurückgegangen. Heute steht der größte heimische Käfer auf der Roten Liste, gilt als stark gefährdet und unsere Kinder kennen ihn meist nur noch vom Hörensagen!
Neben den offiziellen Bemühungen zu seiner Erhaltung auf europäischer und nationaler Ebene kannst auch du zum Schutz des Hirschkäfers beitragen. Um ihm zu helfen, kann man im Garten Baumstümpfe von dicken Obstbäumen langsam zerfallen lassen. Mit etwas Glück fliegt dir dann an einem schwülen Abend der dicke Brummer mit dem gewaltigen Hirschgeweih vor die Füße. So beginnt ein guter Sommer!